17152 Proseminar

SoSe 14: Übungen zur novela picaresca. Schwerpunkt 'Lazarillo de Tormes'

Winfried Engler

Kommentar

Warum es Sinn macht, einen 1554 an gleich mehreren Orten des spanischen Reichs (Burgos, Alcalá de Henares, Medina del Campo, Antwerpen) gedruckten Prosaroman, zu analysieren? Weil die Erzählforschung am Lazarillo de Tormes Romangeschichte als deren eigene Rezeptionsgeschichte verfolgen kann. Das Werk eines unbekannten Autors, dessen Erstdruck von 1552 (?) verschollen ist, wird seit dem 17. Jahrhundert zur europäischen Orientierungsinstanz für Romanciers, die den Überlebenskampf des kleinen Mannes am Rand der Gesellschaft und entsprechend weibliche Schicksale verfassen – pícaro und pícara im pikaresken Roman. In welcher Domäne der Narrativik etabliert sich dieser kurze Text historisch und wie konkurriert er mit den angesehenen Gattungen der libros de caballería und der novela pastoril, die Abenteuer der Ritter idealisieren und das Leben der „Schäfer“ auf deren Gefühlslage, namentlich die Liebe, reduzieren? Ritter und Schäfer bewegen sich in märchenhaften Landschaften. Lázaro kommt aus einer städtischen Unterschicht in Altkastilien; er überlebt, weil er sich mit List und Tücke durchsetzt. Seine Teilnahme an der „buena fortuna“ in Toledo bleibt sozial mehr als bescheiden und ist, wovon der Prolog handelt, moralisch keineswegs korrekt. Mit Lázaro aus Salamanca betritt ein Stadtkind, das nicht einmal getauft ist und keine Schule besucht hat, die Romanszene; die Gattungsgeschichte erweitert sich um neue Erzählmuster, narrative Paradigmen, die auch deswegen eine Schwelle herstellen, weil sich seit dem Ende der reconquista 1492 das Soziogramm und die Ökonomie der Städte prekär verschoben haben. Einzigartig ist der Textmodus, durch den eine unwichtige Lebensgeschichte für literaturwürdig befunden wird, weil der kanonisierte Tenor der Lebensbeichte, die mit Augustinus (Confessiones) ihr spätantikes Modell erhalten hat, die Selbstdarstellung kleiner und unbedarfter Leute bislang kategorisch ausgeschlossen hat. Die Vermutung liegt nahe, dass der Autor des Lazarillo de Tormes zur Karikatur und Parodie des Zeitgeistes, d.h. einer Ideologie im Umbruch neigte, weil er selbst einer Randgruppe (converso, getaufter Jude) angehörte und sich durch die Anonymität vor Risiken schützte; die Inquisition war ja schon am Werk. Sein Protagonist spricht in der Fiktion ironisch von sich in der ersten Person Singular, wobei die Ichform die Erzählinstanz verdoppelt, in den älteren Sprecher, der zurückblickend sich und seine Erfahrungen seit der Geburt darstellt. Das narrative Subjekt Lázaro gestaltet sich als sein eigenes Objekt: der damit gewonnene Anspruch auf Verlässlichkeit der erzählten Wirklichkeit stellt sich gleichzeitig in Frage, weil die Authentizität jeder Ich-Perspektive als lediglich relativ gilt. Ein weiterer Aspekt irritiert die Lektüre, denn die bildungsferne Romanfigur schmückt sich mit humanistischem Wissen und zitiert es. Voraussetzungen: Aktive und regelmäßige Mitarbeit; Leistung je nach gewähltem Modul. Praktische Textgrundlage für die Arbeit im Plenum: Lazarillo de Tormes. Klein Lazarus von Tormes. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Hartmut Köhler, Philipp Reclam, Stuttgart 2006; für Referate etc. die kritischen Ausgaben von Blecua (Castalia) oder Rico (Cátedra). Themen und Bibliographie zu Semesterbeginn. Zur Einführung: Bernhard König: „(Anonym). La vida de Lazarillo de Tormes, y de sus fortunas y adversidades“, in: Volker Roloff und Harald Wentzlaff-Eggebert: Der spanische Roman. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1986, 33–47. Schließen

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