5260113HU Seminar

WiSe 12/13: Literatur und Ethnographie in den sowjetischen 1920er Jahren

S. Frank, F. Thun-Hohenstein

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Kooptierte Lehrveranstaltung

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Das Seminar widmet sich dem Grenzbereich zwischen Literatur und Ethnologie bzw. Ethnographie, der in den sowjetischen 1920er Jahren ästhetisch und literaturtheoretisch äußerst virulent war. Nachdem die ethnographische Skizze und der ethnographische Roman bereits im 19. Jh. maßgeblich an der Herausbildung der realistischen, und später der naturalistischen Schreibweise teilgehabt hatten, machte sich im ersten Jahrzehnt der Sowjetherrschaft die Literatur ein weiteres Mal die ethnographische Schreibweise zueigen. Vor allem die Gattung des "o?erk", der Skizze, wurde jetzt reaktualisiert, aber auch der ethnographische Roman. Hinzu kamen neu ‚erfundene' Gattungen wie das sog. "Bio-Interview" (S. Tret'jakov). War es im 19. Jh., im Kontext des Russischen Imperiums, um deskriptiv aneignende und narrativ einordnende Strategien gegangen, so standen sich nun, in der im Aufbruch befindlichen Sowjetkultur, ein beschreibend spezifizierendes einerseits und ein transformierend eingreifendes Interesse andererseits gegenüber, die dann in den 30er Jahren von Strategien einer ideologisch konturierenden Illustration abgelöst wurden. Im Kontext des avantgardistischen Plans, die Kunst ins Leben zu bringen, und des politischen Plans, die Kunst als Propagandainstrument zu verwenden, wurde (insbesondere auch ethnographische) Literatur im Projekt der "literatura fakta" (Tret'jakov, ?užak, Šklovskij) zu einem zentralen Mittel des Erbauens des neuen, sowjetischen Lebens ("žiznestroenie"). Geradezu ein Nebeneffekt war es, dass mithilfe der der narrativen Popularisierung und/oder medialen Aufbereitung in illustrierten Zeitschriften die ethnographischen Kenntnisse für eine breite Öffentlichkeit zugänglich wurden. Im Seminar wird es darum gehen, anhand ausgewählter, signifikanter Beispiele die Grenzgänge zwischen einer Literatur, die nicht mehr fiktional sein wollte, und einer Ethnographie, die sich als Wissenschaftsdiskurs entwickelte und zugleich die Mittel der Fiktion zur Popularisierung von Erkenntnissen und Thesen zu nutzen wusste, zu erkunden. Vergleiche zwischen vorrevolutionärer ethnographischer Literatur bzw. Ethnographie und sowjetischen Beispielen werden helfen, die Spezifik der diskursiven Situation in den 1920er und beginnenden 1930er Jahren besser zu verstehen. Texte zu Georgien und Sibirien, Regionen, die besonders intensiv be-schrieben wurden, werden im Seminar im Vordergrund stehen. Zur Einstimmung werden empfohlen: A. Belyj, Veter s Kavkaza ; Z. Richter, V solne?noj Abchazii i Chevsuretii ; Vl. Arsen'ev, Po ussurijskomu kraju oder Dersu Uzala ; Vl. Bogoraz-Tan Vosem' plemen , ?uchotskie rasskazy , Sojuz molodych oder Voskresšee plemja ; und S. Tret'jakov, Deng Shi-Hua: Ein chinesischer Student erzählt sein Leben. Bio-Interview u.a. close

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