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Seminar
SoSe 13: Transhumanismus
Denis Mäder
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Sprechstunde nach Vereinbarung: maeder@zedat.fu-berlin.de
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Der Transhumanismus ist eine Theorie, die die Optimierung des menschlichen Lebens anstrebt. Zu diesem Zweck verteidigen seine Vertreter biotechnische Eingriffe in den Körper und Geist. Diese sogenannten Human Enhancements betreffen zum Beispiel die Steigerung der kognitiven und körperlichen Leistungsfähigkeit, die künstliche Erzeugung von Wohlbefinden und die Verlängerung der Lebenszeit. Mit diesen Mitteln soll der radikale Umbau der menschlichen Natur oder sogar ihre Überwindung betrieben werden. Das Seminar stellt die wichtigsten Positionen sowohl der
Transhumanisten als auch ihrer 'biokonservativen‘ Gegner vor. Dies geschieht in einem bioethischen Rahmen, der auch weitere ethische und sozialphilosophische Fragen mit einbezieht. In Auseinandersetzung mit diesen Positionen diskutieren wir den Wert und die Grenzen der menschlichen Optimierung. Da viele der zu lesenden Texte in englischer Sprache sind, werden gute Englischkenntnisse vorausgesetzt. close
Suggested reading
Seminarplan
1. Einführung: Was ist Transhumanismus? Was ist 'human enhancement'?
Der erste Termin stellt das Thema vor und weist auf die wichtigsten Themen- und Problemfelder hin, mit denen sich das Seminar im weiteren Verlauf beschäftigen wird.
I. Die ethische Relevanz der menschlichen Natur
2. Birnbacher
Als Einstieg in den Gegenstand lesen wir Dieter Birnbachers 'Überlegungen zur Natürlichkeit als Grenze der Umgestaltung der menschlichen Natur', dem letzten Kapitel seiner Schrift zur Natürlichkeit, in dem er sich mit dem Transhumanismus auseinandersetzt. Lektüre: Natürlichkeit (2006)
3. Hurka (1)
Hurkas gründliche ausgearbeiteter Perfektionismus basiert auf der These: Gut ist sie Entwicklung der natürlichen Eigenschaften des Menschen. Hurka versucht daher zunächst, ein tragfähiges Konzept von menschlicher Natur zu entwickeln, um auf dieser Grundlage eine normative Theorie basieren zu können. Dieser Versuch eignet sich deswegen sehr gut zur Verdeutlichung des auch für das Human Enhancement maßgeblichen Verhältnisses zwischen dem Natürlichen und dem Guten.
Lektüre: Perfectionism (1993)
4. Hurka (2)
Im Zentrum steht jetzt die Anwendung des perfektionistischen Gedankens auf die gesellschaftliche Wirklichkeit, speziell im Hinblick auf die Werte Freiheit und Gleichheit. Wir lesen diesen Text, weil er einen guten Überblick über die Diskussion um das auf J. S. Mill zurückgehende sog. harm principle gibt: Wie weit darf sich die Gesellschaft zum Zweck der Setzung und Realisierung von perfektionistischen Ziele in das Leben der Einzelnen einmischen? Diese Frage stellt sich in gleicher Weise auch im Zusammenhang mit dem Human Enhancement.
Lektüre: Perfectionism (1993)
II. Transhumanistische Positionen
5. Bostrom (1)
Human Enhancement ist die Verbesserung des menschlichen Lebens mit allen zur Verfügung stehenden technischen und wissenschaftlichen Mittel - aber eben auf eine Art und Weise, die tiefgreifende Eingriffe in die menschliche Natur vorsehen. Ist das moralisch vertretbar? Nick Bostrom ist der vielleicht wichtigste und bekannteste Vertreter eines radikalen Human Enhancement auf akademischem Gebiet. Dieser Text stellt die wichtigsten Anwendungsbereiche des Human Enhancement vor und beleuchtet die zentralen ethischen Probleme, die damit verbunden sind.
Lektüre: ‚Ethical Issues in Human Enhancement' (2007)
6. Bostrom (2)
In diesem Aufsatz untersucht Bostrom die Verträglichkeit des Human Enhancement mit der Würdedes Menschen. Das ist ein zur Zeit vor allem aufgrund der Möglichkeiten der liberalen Eugenik vieldiskutiertes Thema in der Bioethik.
Lektüre: ‚Dignity and Enhancement' (2008)
7. Daniels
Der amerikanische Bio- und Medizinethiker Norman Daniels setzt sich hier mit der Frage auseinander, inwiefern sich die Natur einer bestimmten Spezies überhaupt in ihrer genetischen Beschaffenheit zusammenfassen lässt. Das ist insofern wichtig für die Diskussion, als die ‚biokonservativen' Gegner des Human Enhancement zu einem Begriff von menschlicher Natur neigen, wonach das Erbmaterial allein den Spielraum von Variationen innerhalb einer Eigenschaft festlegt - zum genetischen Determinismus.
Lektüre: 'Can Anyone Really Be Talking About Ethically Modifying Human Nature?' (2009)
8. Harris
Der britische Bioethiker John Harris geht in diesem Aufsatz auf die Positionen Daniels aus der vorigen Woche ein. Er berücksichtigt wichtige Einwände gegen Enhancements, argumentiert allerdings für einen moralischen Imperativ der menschlichen Optimierung, den er konsequentialistisch und mit sehr individualistisch-libertären Argumenten zu begründen versucht. So macht sein Beispiel eine in im Transhumanismus weit verbreitete politisch-moralische Grundstimmung deutlich.
Lektüre: 'Enhancements Are a Moral Obligation' (2009)
III. Die Kritik am Transhumanismus
9. Sandel
Die transhumanistischen Bestrebungen werden freilich sehr skeptisch beäugt und als gewaltige moralische Herausforderungen verstanden. Einer der bekanntesten Kritiker ist der amerikanische Philosoph Michael J. Sandel, für den Perfektionierungsbestrebungen, wie z. B. die genetische Manipulation des Nachwuchses, Grundwerte wie Solidarität, Demut und Achtung vor der Natur als einem uns 'gegebenen Geschenk' bedrohen.
Lektüre: Plädoyer gegen die Perfektion (2007)
10. Kass
Leon Kass stand mehrere Jahre in den USA dem President's Council on Bioethics vor. Er ist einer der bedeutendsten Kritiker der Anwendung von biotechnischen Möglichkeiten zum Zweck der Veränderung menschlichen Lebens über den Zweck der Gesundheit hinaus. Kass befürchten vor allem, der biotechnische Fortschritt führe zum Verlust menschlichen Authentizität. In diesem Sinne sei das Human Enhancement ein 'entmenschlichender' Angriff auf die Würde des Menschen. In diesem Essay argumentiert er zusätzlich, dass das Human Enhancement insbesondere unsere Vorstellung von Leistung als etwas, das man sich selbst erarbeiten und verdienen muss, untergräbt.
Lektüre: 'Ageless Bodies, Happy Souls' (2003)IV. Die Praxis des Human Enhancement
12. Pawlenka
Lektüre: 'Doping im Sport im Spannungsfeld von Natürlichkeit und Künstlichkeit' (2004)
Sportethische Überlegungen zum Thema Doping, also zur künstlichen Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Verhandelt werden können hier insbesondere die für den Sport maßgeblichen Begriffe des Spiels und seiner Regeln sowie der Aspekt der Fairness, der grundsätzlich für alle Bereiche des Enhancement relevant ist und als 'arms race' diskutiert wird.
13. Schöne-Seifert
Thema dieser Sitzung ist das kognitive oder Neuro-Enhancement, das zunehmend in den Mittelpunkt der Debatte rückt. Hier geht es nicht nur um die Steigerung der intellektuellen Leistungsfähigkeit (z.B. die Erhöhung der Konzentrationsfähigkeit durch die Einnahme von Ritalin), sondern auch um die künstliche Erzeugung von anhaltendem seelischen Wohlbefinden durch sogenannte mood-enhancing drugs oder durch memory blunting. Die damit verbunden Probleme betreffen primär die Frage, ob man sich seine geistige Leistungsfähigkeit oder Stimmungslage nicht selbst erarbeiten sollte und die damit verbundene Frage, was es heißt, eine Person mit einem authentischen Charakter zu sein. Lektüre: 'Pillen-Glück statt Psycho-Arbeit. Was wäre dagegen einzuwenden?' (2006)
14. Harris
Als Befürworter eines radikalen Human Enhancement verteidigt John Harris auch die extrem lange Lebenszeiten. In diesem Aufsatz berücksichtigt er die bevölkerungsethischen Aspekte der gegenwärtigen Debatte, allen voran die Frage der Gerechtigkeit der Verteilung der Möglichkeit eines langen Lebens (zur Ergänzung empfiehlt sich die Lektüre von Singer 2009).
Lektüre: 'Anmerkungen zur Unsterblichkeit. Die Ethik und Gerechtigkeit lebensverlängernder Therapien' (2009)
Literaturverzeichnis
A) Seminarlektüre
BIRNBACHER, Dieter (2006), Natürlichkeit. Berlin, New York: Walter de Gruyter.
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B) Weiterführende Literatur zur Ethik des Transhumanismus und Human Enhancement.
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152-173.
TALBOT, Davinia und WOLF, Julia (2006), ‚Dem Gehirn auf die Sprünge helfen. Eine ethische Betrachtung zur Steigerung kognitiver und emotionaler Fähigkeiten durch Neuro-Enhancement', in: Johann S. Ach, Arnd Pollmann (Hg.), No body is perfect. Baumaßnahmen am menschlichen Körper -Bioethische und ästhetische Aufrisse. Bielefeld: Transcript Verlag, S. 253-278.
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Fri, 2013-06-07 14:00 - 16:00
Fri, 2013-06-14 14:00 - 16:00
Fri, 2013-06-21 14:00 - 16:00
Fri, 2013-06-28 14:00 - 16:00
Fri, 2013-07-05 14:00 - 16:00
Fri, 2013-07-12 14:00 - 16:00