16200 Vorlesung

SoSe 14: V-Bildungsinstitutionen in der Spätantike

Gyburg Uhlmann

Kommentar

Das 5. und 6. Jahrhundert n. Chr. haben eine reiche Literatur hervorgebracht, die unmittelbar oder mittelbar aus dem Kontext philosophischer Bildungsinstitutio- nen der beiden großen intellektuellen Metropolen Athen und Alexandria hervor- gegangen ist. Zu dieser gehören protrepetische und propädeutische Schriften, Viten, die pa- radigmatische Lebensentwürfe an einzelnen großen Lehrerpersönlichkeiten vor- stellen, unabhängige wissenschaftliche sachliche und polemische Traktate, Streit- schriften in dialogischer oder systematisch argumentierender Form, und vor al- lem verschiedene Arten und Formen von Kommentartexten, deren Grundlagen- texte vor allem die Dialoge Platons und die sog. Pragmatien des Aristoteles (also die uns überlieferten für den Schulgebrauch verfaßten wissenschaftlichen Ab- handlungen aus der Akademie) waren: wissenschaftliche Aristoteles-Kommenta- re in der Form von Vorlesungsmitschriften, Kommentare zur Arithmetik-Einfüh- rung des Nikomachos von Gerasa, propädeutische Schulkommentare zu Platon, wissenschaftliche Aristoteles-Kommentare aus dem Kontext der Schule in Alex- andria, Glossen in Aristoteles-Codices, die spätantike Kommentare zusammen- stellen und ergänzen, und solche wissenschaftlichen Aristoteles-Kommentare, die nicht unmittelbar aus dem Schulbetrieb hervorgegangen sind. Angesichts dieser reichen Textproduktion überrascht es, wie wenig Konkretes wir über die Bildungspraxis wissen: über die institutionelle Verortung des Unter- richts in einer Schule oder .Universität., die mündlichen Unterrichtsmethoden, die Beteiligung der Studenten am Unterricht, die Charakteristik derjenigen, die in diesen Schulen oder Universitäten lernten, die Motivation der Eltern, ihre Kin- der dort ausbilden zu lassen, die gesellschaftliche Rolle und Funktion in paganen und christlichen Kontexten usw. In der Vorlesung sollen alle heute praktizierten und dem Gegenstand appli- kablen Methoden historischer, wissens- und kulturwissenschaftlicher Forschung vorgestellt und in der Praxis ausgelotet werden. Dazu gehören philologische, kodikologische, paläographische, sozialgeschichtliche, religions- und wissensge- schichtliche, philosophiehistorische, kultur- und literaturwissenschaftliche. Das Ziel ist, die aus diesen Bildungsinstitutionen hervorgegangenen Texte in ihre ver- schiedenen Kontexte, in denen sie stehen und die sie selbst durch ihre Funktion als Akteure von Wissensbewegungen hervorbringen und bedingen, zu stellen und aus diesen heraus und in diesen zu verstehen. Zu diesen Kontexten gehören in diachroner Perspektive die Traditionslinien des Aristotelismus und Platonismus sowie der den Elementarunterricht prägen- den Ausbildung in Sprache, Rhetorik und Logik sowie in den mathematischen Disziplinen (später zusammengefaßt unter den Begriffen .Trivium. und .Quadri- vium.), in synchroner Perpektive die zeitgenössische oder in der näheren Ver- gangenheit verortete Auslegungstechnik und -praxis sowie die Abgrenzungsbe- wegungen zwischen paganer und christlicher Religionspraxis und Theologie mit ihren unterschiedlichen Referenztexten, aber auch die kommentierten und im Unterricht einem Verständnis zugeführten Texte früherer Autoritäten und Leh- rer, die selbst ein durch Verweise evozierbarer und durch Vernetzung des vorlie- genden Textes mit anderen zu einem Netz zusammenführbarer Kontext sind. Mit der Analyse von Wissensbewegungen im Umkreis zweier bedeutender Bil- dungsinstitutionen diskutiert und verwendet die Veranstaltung Begriffsinstru- mente und konzeptionelle Anregungen aus dem Forschungsprogramm des SFB 980 Episteme in Bewegung. Für die Erschließung der mündlichen Unterrichtspraxis als Form der Wis- senserschließung und Wissensbewegung soll in der Veranstaltung eine Auswahl an Texten aus unterschiedlichen Gattungen und Textsorten die Grundlage bilden, die unmittelbar Aussagen oder mittelbare Reexe und auswertbare Produkte die- ser Praxis enthalten. Zur Einführung empfohlen: Rainer Thiel, Aristoteles. Kategorienschrift in ih- rer antiken Kommentierung, Tübingen 2004; Edward Watts, City and School in Late Antique Athens and Alexandria, Berkeley 2006; Han Baltussen, From Polemic to Exegesis: The Ancient Philosophical Commentary, in: J. Lavery (Hg.), Genres in Philosophy. Poetics Today (Special Issue) 28.2 (2007), 247-318; L. G. Westerink, Anonymous Prolegomena to Platonic Philosophy, Amsterdam 1962 (darin: Intro- duction). Schließen

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