16415

SoSe 16: Die Verletzlichkeit der Dinge: Krisen und Feste des Herstellens

Georg Witte

Kommentar

In Literaturwissenschaft und Philosophie, aber auch in anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie Kunstwissenschaft und Filmwissenschaft der letzten drei Jahrzehnte ist ein verstärktes Interesse für die „Dinge“ als kulturelle Artefakte und ästhetische Objekte zu beobachten. Das schließt evolutionär-anthropologische Karrieren des „Werkzeugs“, kulturanthropologische Perspektiven auf die Dinge als „Fetische“ (Hartmut Böhme), sozial- und wissensgeschichtliche Perspektiven auf die Dinge als „politische“ Gegenstände und Akteure (Bruno Latour) und „Indizien“ (Carlo Ginzburg), sozialanthropologische Ansätze der „material culture“ (Daniel Miller), ästhetiktheoretische Betrachtungen der Dinge als Medien von „Aura“ und „Atmosphäre“ (Gernot Böhme, Manfred Seel), literatur-, kunst- und filmwissenschaftliche Rekonstruktionen der Autonomisierung des Dings zum ästhetisch selbstwertigen Gegenstand ein. Das Seminar soll an exemplarischen Texten (Poesie, Erzählprosa, Essays und Manifeste) v.a. aus der russischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts der Rolle der Dinge in der Literatur nachgehen. Neben dem literarischen Hauptschwerpunkt, der auch Beispiele aus der deutsch- und englischsprachigen und französischen Literatur beinhaltet, sollen Film, Fotografie und bildende Kunst als Medien einer prekären Sichtbarkeit der Dinge berücksichtigt werden. Unterschiedliche theoretische Perspektiven bieten sich für die Textlektüren an: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der durch Hegel und Marx diagnostizierten Entfremdung zwischen Ding und Mensch einerseits und dem Ding als Anlass und Instrument ästhetischer Verfremdung andererseits? Was verbindet, was trennt die „Tücke des Objekts“ in der Literatur des 19. Jahrhunderts und den „Aufstand der Dinge“ in der Avantgarde? Was macht die Dinge zu uns verletzenden (Walter Benjamin)? Was macht sie zu verletzten – etwa im Ikonoklasmus der Avantgarden? Stehen solche Krisen der hergestellten Dinge im Zusammenhang mit Krisen des herstellenden Menschen/homo faber? Welche Rolle spielt diesbezüglich das Ding als Werkzeug – als Mittelpunkt einer Anthropologie des produzierenden Menschen (André Leroi-Gourhan), als beschädigte Idylle der „Werkstatt“ (Martin Heidegger) und als zentraler Topos „operativer“ und „bauender“ Praxis in der Avantgarde? Gibt es Stimmungen und Temperaturen der Dinge (Walter Benjamin und Theodor Adorno über „kalte Dinge“; Jean Baudrillard über „Stimmungswerte“ der Dinge)? Was tun mit „überflüssigen“ Dingen (Vilém Flusser; Müllphilosophien bei Ilja Kabakow und Boris Groys)? Schließen

13 Termine

Regelmäßige Termine der Lehrveranstaltung

Mo, 10:00 - 12:00 13 Termine

Mo, 18.04.2016 10:00 - 12:00

Dozenten:
Univ.-Prof. Dr. Georg Witte