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SoSe 16: Wanderungen auf dem Grat zwischen Kunst und Leben. Die Utopien und die Realität der historischen Theateravantgarde

Swetlana Lukanitschewa

Kommentar

„Das Theater wird zu einem neuen Lehrer. Jeder Künstler wird verpflichtet zur Theatralisierung des Lebens“, formulierte Nikolai Evreinov 1912 seine Vision der künftigen gesellschaftlichen Rolle des Theaters. Mit seinen leidenschaftlichen Aufrufen zu einer radikalen Entgrenzung des Theaterbegriffes sprach der russische Regisseur und Theatertheoretiker vielen europäischen Künstlern und Literaten seiner Zeit, die den Mythos von der Einheit zwischen Kunst und Leben kreiert und gelebt haben, aus der Seele. Trotz aller Differenzen in den künstlerischen Programmen verschiedener avantgardistischer Gruppen, waren sich ihre Vertreter einig in ihrer notorischen Ablehnung der zeitgenössischen sprachlich fixierten Illusionsbühne als eines wichtigen Mediums der bürgerlichen Gesellschaft, gegen die ihr Umgestaltungswillen gerichtet war. Zugleich erkannten sie das Wirkungspotential des Theaters und feierten das Theater als ein Modell zur Konstruktion einer neuen Wirklichkeit. Ihre Gedanken kreisten um die Verwandlung der Bühne aus dem Ort der mimetischen Imitation des Lebens in eine Projektionsfläche neuer, durch die fortschreitende Industrialisierung, Technisierung und Urbanisierung geprägter Wahrnehmungsmuster und Körperbilder. Sie bezogen wertvolle Anregungen und Impulse aus den Formen des Volkstheaters wie etwa der Commedia dell’arte oder des Jahrmarktstheaters und erklärten zum Signum des neuen Theaters die „Entliterarisierung“ der Bühne, die Emanzipation des Körpers und des Optischen sowie die Partizipation des Publikums in das szenische Geschehen. Schließen