Seit Goethes wegweisendem Aufsatz „Von deutscher Baukunst“, der das Straßburger Münster als Ausdruck wahrer Schönheit feiert, ist die Architektur in der deutschsprachigen Literatur allgegenwärtig. Vor allem seit Ende des 19. Jahrhunderts lässt sich als Folge der beschleunigten Modernisierung eine bemerkenswerte Zunahme architektonischer Repräsentation im Medium Text beobachten. Die Interaktion der beiden „Bau-Systeme“ ist dabei von einer verblüffenden Vielfältigkeit geprägt. Während Hermann Bahr die Überwindung des Wiener „Ringstraßenstils“ und die Rückkehr zum österreichischen Landhaus fordert, diagnostiziert Hermann Broch eine europäische Kulturkrise im Zeichen des Kitsches. Derweil fungiert die Architektur bei Joseph Roth und Robert Musil als Referenz auf eine untergehende Kultur, Franz Kafka verwirrt seine Leser mit detaillierten, aber undurchsichtigen Bauplänen und Siegfried Kracauer unternimmt Lektüren urbaner Zeichenwelten. Ernst Jünger wiederum prognostiziert die Einebnung aller Stile in der „Werkstättenlandschaft“. Anhand genauer Einzellektüren widmet sich unser Blockseminar den unterschiedlichen Funktionen von Architektur im literarischen Text der Moderne. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie Literatur durch die Konstruktion von imaginären Räumen (bzw. durch die erzählerische Integration realer Bauten) Bedeutung konstituiert. In unseren Diskussionen wollen wir das vielschichtige Verhältnis von Raum, Wahrnehmung, Erinnerung und Identität ebenso herausarbeiten wie das komplexe politische Bezugsfeld, das sich hinter der literarischen Darstellung von Architektur häufig verbirgt. Den architekturtheoretischen Kontext zwischen 1890 und 1930 werden wir in unserem Seminar deshalb stets mitdenken. Einen detaillierten Seminarplan mit Referatsthemen sowie Lektürehinweise für die erste Sitzung erhalten die Teilnehmer_innen Anfang April per Email. Rückfragen bitte per Email an: tcarsten@iupui.edu. Schließen