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SoSe 16: Epos und Nomadologie

Björn Quiring

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Gilles Deleuze und Félix Guattari haben sich in ihren Analysen literarischer Werke vor allem auf Texte konzentriert, die sie als minoritäre oder „kleine“ Literatur bezeichnen. Deren Eigenart soll es sein, sprachliche Codes aufzulösen, verfestigte Diskursfelder zu „deterritorialisieren“ und so Dinge zu artikulieren, die aufgrund dominanter normativer Ordnungen und Machtverhältnisse normalerweise ungesagt bleiben. Auf den ersten Blick scheint keine literarische Gattung dieser programmatisch „kleinen“ Literatur unähnlicher zu sein als das Epos: Nach geläufigem Verständnis sind Epen groß angelegte Gründungserzählungen einer majoritären Ordnung, meistens Geschichten von der Eroberung oder Bewahrung eines herrschaftlichen Territoriums und der (Re-)Kodifizierung des sozialen Verkehrs in diesem Territorium. Epen erscheinen darüber hinaus an den Bestand einer hegemonialen Institution gebunden (meistens eines Staats, einer Nation oder eines Imperiums), deren Existenz sie rechtfertigen und glorifizieren. Aber andererseits zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass das begriffliche Instrumentarium, das Deleuze und Guattari entwickeln, sich auch zur Beschreibung klassischer Epen eignet. Und schaffen die beiden in ihren ausladenden quasi-narrativen Studien, und speziell in ihrem Hauptwerk Tausend Plateaus, nicht selbst eine neue Variante des Epos, ebenso wie viele der von ihnen als minoritär verbuchten Autoren? Und könnte sich insofern die Differenz zwischen kleinen und großen Literaturen nicht als eine optische Täuschung herausstellen? Das Seminar wird diesen Fragen anhand exemplarischer Lektüren nachgehen. Der erste Abschnitt des arbeitsintensiven Semesters wird sich mit der selektiven Aneignung des Begriffsapparats von Tausend Plateaus befassen. Im zweiten Abschnitt werden Arbeitsgruppen gebildet, die mit Hilfe dieser Begrifflichkeit eines von fünf großen Epen analysieren und die Resultate in einer Seminarstunde vorstellen. Textgrundlage ist die deutsche Version von Tausend Plateaus, übersetzt von Gabriele Ricke und Ronald Voullié, erschienen bei Merve (Berlin 1992). Ich bitte alle Teilnehmer darum, dieses Buch zu besorgen und möglichst schon vor Semesterbeginn das Kapitel „Postulate der Linguistik“ zu lesen. close