13204

SoSe 18: Vom Wert des Streitens: Rechtskultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik

Sandra Schnädelbach

Comments

Was ist das Recht? Wie entsteht es, wer formt es und was kann es leisten? In der Zeit um 1900 trieben diese Fragen nicht nur Juristen um. Vorstellungen vom Recht und dessen Funktion waren vielmehr Teil einer breiten öffentlichen Diskussion: Wie – wenn überhaupt – wäre eine objektive Rechtsprechung zu gewährleisten? Ist die Justiz zu sehr von bürgerlichen Eliten geprägt? Stellt die Presse eine Chance oder eine Gefahr für die Rechtsprechung dar? Immer stärker wurde das Recht im beginnenden 20. Jahrhundert als sozialer Gestaltungsfaktor begriffen und das Prozessgeschehen als Spiegelbild gesellschaftlicher Problemlagen gelesen.

Die hohen Erwartungen an die Justiz kamen nicht von ungefähr. Seit dem späten 19. Jahrhundert erlebte das Rechtswesen eine Blüte. Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1870/71 wurden zahlreiche ‚Justizpaläste‘ errichtet, neue Prozessregeln wurden aufgestellt, ein erstes Bürgerliches Gesetzbuch trat 1900 in Kraft. Das Seminar geht der Frage nach, woher dieser besondere Stellenwert des Rechts rührte und auf welche Weisen das Recht das Alltagsleben formte – und umgekehrt. Wie ist zu erklären, dass Wilhelminische Zeitgenossen mit Vorliebe in Beleidigungssachen prozessierten? Warum konnte eine in der Hosentasche vergrabene Hand im Gerichtssaal einen Eklat auslösen? Was bedeutete Rechtsfindung auf dem Land, wo Verhandlungen noch um 1900 oft in Wirtshäusern abgehalten wurden? Und wie veränderten sich die Erwartungen an das Recht im Kontext der soziopolitischen Umbrüche des frühen 20. Jahrhunderts?

Anhand dieser Fragen möchte das Seminar der Rechtskultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik auf den Grund gehen und deren Wandel auf mehreren Ebenen erschließen: Ritualität und Theatralität von Prozessen, Rede- und Verhaltensregeln während der Verhandlung, Gender und soziale Klasse der Akteure sowie neue Medienformen sollen auf ihre Bedeutung für Recht und Justiz hin untersucht werden. Damit möchte das Seminar Zugänge zu einer Rechtsgeschichte eröffnen, die sich als Teil einer breiteren Kulturgeschichte des Rechts begreift. Recht und Justiz sollen als Elemente gesellschaftlicher Dynamiken erschlossen werden und so ein tieferes Verständnis der Gesellschaft des Kaiserreichs und der Weimarer Republik ermöglichen.

Das Seminar basiert auf deutscher und englischsprachiger Literatur. Für ein erfolgreiches Absolvieren des Kurses sind die regelmäßige Lektüre und Vorbereitung der angegebenen Grundlagentexte sowie Diskussionsbereitschaft im Seminar erforderlich. close

12 Class schedule

Regular appointments

Tue, 12:00 - 14:00 12 Class schedule

Tue, 2018-04-24 12:00 - 14:00

Lecturers:
Sandra Christine Schnädelbach