31701 Seminar

SoSe 19: Transnationale Literatur. Vom Schrumpfen und Wachsen der Räume

Georg Witte

Kommentar

1) Die Kälte Die Kälte ist eine ubiquitäre Metapher – „kalter Krieg“ und „kalte Medien“, „kalte Abstraktion“, „kaltes Blut“, „COOL“. Die Semantik dieses Metaphernfelds spannt sich zwischen Tod und energetischer Naturgewalt. Ausgehend von der literarischen Karriere dieser Metapher zwischen Romantik und lyrischer Moderne („kaltes Herz“, „Eisvogel“, „Schneesturm“, „Winterwald“) sollen im weiteren Verlauf des Seminars anthropologische und sozialpsychologische Dimensionen der Kälte diskutiert werden: Kulte der Gefühlskälte und Affektimmunität etwa im Dandytum und den „Verhaltenslehren der Kälte“ (Helmut Lethen) der neuen Sachlichkeit. Auch das kalte Schreiben als literarischer Habitus (von Vasilij Rozanov und Viktor Šklovskij bis zu Thomas Bernhard und Kathrin Passig) rückt hier ins Blickfeld. Schließlich sollen narrative Modellierungen von Raum und Zeit im Zeichen der Kälte untersucht werden: Erzählungen von russischen Winterkriegen und Schlachtfeldern aus Eis (der vereiste Peipussee in Sergej Eisensteins Film „Alexander Newskij“, Stalingrad in Alexander Kluges „Schlachtbeschreibung“), von Eroberern der Arktis und den literarischen Reflexionen ihrer Mythen (bei Guntram Vesper, Sten Nadolny, Christoph Ransmayr und ihren romantischen Vorgängern), Visionen von Eiszeiten und Kältetod-Phantasien (zwischen „Ice Age“ und „The Day After Tomorrow“) sowie vom kosmischen Eis (in Science Fiction und in der „Eis“-Trilogie des russischen Romanciers Vladimir Sorokin). 2) Lew Tolstoj, „Krieg und Frieden“ „Krieg und Frieden“, diesem zwischen 1867 und 1869 in Folgen veröffentlichten Textmonster wurde von seinem Autor ausdrücklich die Gattungsbezeichnung als Roman verweigert. Die radikale Montage heterogener Erzählstränge und die Inklusion wuchernder geschichtsphilosophischer Kommentare des Autors sprengten in der Tat die damaligen Vorstellungen vom Roman. Dennoch, oder vielleicht gerade wegen seiner besonderen Form - als erzählstruktureller Reflexion von historischer Kontingenzerfahrung - wurde „Krieg und Frieden“ zu einem Paradigmatext des modernen historischen Romans. Im Seminar soll der Text abschnittweise gelesen werden. Lektüreleitende Aspekte sind: 1) das Verhältnis von Geschichte und Fiktion, die Modellierung von „Bewegung“ der Geschichte, 2) die sprachliche Heterogenität des Romans (etwa das Nebeneinander von russischen und französischen Passagen und die dialogische Form des Erzählens), 3) die visuelle und bildliche Dimension (Struktur der Blickperspektiven und ihrer Steuerung: wer sieht wen und was; Bilder des Kriegs/der Schlacht und die prekären Positionen ihrer ‚Bobachter‘; schließlich: die verschiedenen Übersetzungen des Romans ins visuelle Medium des Films). Textgrundlage: Tolstoi, Lew: Krieg und Frieden. Übersetzt und kommentiert von Barbara Conrad. Zwei Bände. München (Hanser) 2010 (bzw. die Taschenbuchausgabe dieser Übersetzung bei dtv; wird zum Kauf und zur vorbereitenden Lektüre dringend empfohlen). Als Sekundärliteratur wird zur Vorbereitung empfohlen: ?orson, Gary Saul: Hidden in Plain View. Narrative and Creative Potentials in “War and Peace”. Stanford Univ. Press 1988. 3) Transnationale Literatur In der neueren Kultur- und Literaturtheorie geriet der Begriff des Raums buchstäblich in Bewegung. Erzählter Raum ist ein von Akteuren bewohnter und veränderter, ein immer weniger territorial oder national definierter Raum. Er ist – im wörtlichen Sinne – „erfahren“. Migration als Anlass und Gegenstand das Erzählens ist eine individuelle und kollektive Praxis, die statische und essentialistische Raumvorstellungen subvertiert. Eine Poetik der Migration ist kennzeichnend für eine Literatur, die in den Raumbewegungen und Grenzüberschreitungen, in der Sprache und der Perspektive ihrer Protagonisten eine Deterritorialisierung des Raumes reflektiert. Das gilt in besonderer Weise für das neue Osteuropa – mit seiner bewegten Geschichte von Grenzauflösungen und Errichtungen neuer Grenzen sowie der damit einhergehenden Spannung von Inklusion in den Prozess der Globalisierung und Renaissance nationalistischer Ordnungsmodelle. Am Beispiel literarischer Erzählungen und Romane der letzten beiden Jahrzehnte sollen Sujets der Reise, des Durchfahrens, Wieder- und Neubefahrens von Räumen hinsichtlich ihrer transnationalen Dynamiken untersucht werden. Das betrifft ‚globale‘ Erzählkonstellationen - Sergej Bolmat, „In der Luft“ (2003); Senthuran Varatharajah "Vor der Zunahme der Zeichen“ (2016) - ebenso wie das transnationale Reisen in ost- und mittelosteuropäischen Mikroregionen, etwa bei Miljenko Jergovic („Freelander“, 2009) Andrzej Stasiuk („Unterwegs nach Babadag“, 2004) Nicoletta Esinencu, „Odessa Transfer“, 2008). Einen besonderen Fokus bilden Romane, in deren Mittelpunkt die Reisen westlicher Erzähler/Figuren in das postsozialistische Osteuropa stehen: J.S. Foer, „Everything is illuminated“ (2002); Aleksandr Hamon: The Lazarus Project (2008); Esther Kinsky, „Banatsko“ (2011); Katja Petrowskaja, „Vielleicht Esther“ (2015); Sybille Lewitscharoff, „Apostoloff“ (2009); Petra Hulova, „Endstation Taiga“ (2008); Sasha Marianna Salzmann, „Außer sich“ (2017). Schließen

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