Neben den beiden Fragen „Was kann ich wissen?“ und „Was soll ich tun?“ wendet sich Kant einer dritten Grundfrage zu: „Was darf ich hoffen?“. Die Hoffnung richtet sich auf das noch nicht Gewesene; die dritte Grundfrage der kantischen Philosophie eröffnet also die Dimension der Zukunft, der Geschichte, der Sinngebung des menschlichen Lebens. Kant hat die Geschichtserfahrung nicht einer systematischen Kritik unterzogen, die man mit der Kritik der Naturerfahrung und der sittlichen Erfahrung vergleichen könnte, denn anders als Hegel oder Marx hat er der Geschichte nicht dieselbe Bedeutung wie der objektiven Erkenntnis und dem moralischen Handeln eingeräumt. Und doch enthalten seine Beiträge zur Geschichtsphilosophie, die sich über verschiedene Schriften verstreuen und eher populärer Natur sind, eine Art Kritik der historischen Vernunft. Die wichtigsten Werke zu dieser Thematik sind Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784), Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786) und der Streit der Fakultäten (1798), dessen zweiter Abschnitt die Frage untersucht, „ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum Besseren sei.“ (Fak., VII 79). Am Leitfaden dieser Grundfrage ist das Seminar der aufmerksamen Lektüre und Deutung der Texte gewidmet. Wir werden uns mit der Frage auseinandersetzen, ob Kants Geschichtsphilosophie eine säkularisierte Eschatologie zugrunde liegt, deren Ausarbeitung sich wiederum nicht trennen lässt von der Frage danach, wie wir moralisch agieren sollen. Schließen