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SoSe 20: André Gide: Motivlosigkeit und Zweckfreiheit

Iris Roebling-Grau

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Dass alles einen Grund hat, ist eine zentrale Annahme unseres Selbst- und Weltverständnisses – auch wenn wir diesen Grund nicht immer einsehen können. Ebenso unterstellen wir bei den meisten unserer Tätigkeiten einen erkennbaren Zweck. In einem Gedankenexperiment suspendiert André Gide in seinem Roman ‚Les Caves du Vatican‘ (1914) diese Grundannahmen, wenn er von einem offenbar motivlosen Mord erzählt. Wir werden uns mit dieser Denkfigur, dem ‚acte gratuit‘, beschäftigen und ihre Konturen im Feld der Ästhetik, der Ethik und der Theologie ausleuchten. Das zweckfreie Schöne, die verschenkte Gabe und die nicht einsehbare göttliche Gnade sind Figurationen dieser Thematik. Uns werden ihre Ambivalenzen interessieren, die dazu führen, dass sogar das Schöne eine untergründige Verbindung zur Gewalt unterhalten kann. Anschließend verfolgen wir das Motiv in drei weiteren literarischen Texten: dem Roman ‚L’Étranger‘ (1942) von Albert Camus, dem spanischsprachigen Roman ‚La virgen de los sicarios‘ (1994) von Fernando Vallejo und dem französischen Roman ‚Fever‘ (2005) von Leslie Kaplan. In allen drei Werken können Täter für ihre Verbrechen kein wirkliches Motiv benennen. Aber es wird deutlich, dass die Leerstelle der Motivlosigkeit auch dazu dient, etwas anderes zu thematisieren. Was wird erzählt, wenn die Mitte leer ist? Und wie wird davon erzählt? Alle Texte liegen auch in Übersetzungen vor. close

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Lecturers:
Prof. Dr. Iris Roebling-Grau