SoSe 20: Wirklichkeit erzählen? Spielarten des Realismus vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart
Julia Weber
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„Alle Schriftsteller glauben, Realisten zu sein“, hält Alain Robbe-Grillet in seinen Argumenten für einen neuen Roman 1963 fest, und Hans Ulrich-Treichel schreibt 2005 in der ZEIT, „Der Romanautor ist Realist, egal, welchen Stil er bevorzugt.“ Nicht nur in der schriftstellerischen Selbstreflexion ist die Frage nach dem Realismus allgegenwärtig. Auch im Feuilleton wird seit einigen Jahren wieder verstärkt auf ‚Welthaltigkeit‘ und auf die Adressierung brennender Fragen der Gegenwart gedrungen.
Das Seminar widmet sich dem Realismusproblem in einer historisch übergreifenden Perspektive: Ausgehend von einer historischen und theoretischen Problematisierung dessen, was im engeren Sinne unter einem ‚bürgerlichen‘ oder ‚poetischen‘ Realismus im 19. Jahrhundert verstanden wird, werden wir uns im Seminar mit literarischen Texten beschäftigen, die die Frage nach einer erzählerischen Bezugnahme auf und Herstellung von Wirklichkeit in besonderer Weise umtreibt. Im Zentrum stehen dabei Adalbert Stifters grundsätzliche Reflexion realistischer Darstellungsmöglichkeiten in den Nachkommenschaften (1864), Virginia Woolfs modernistische Problematisierung realistischen Erzählens in To the Lighthouse (1927) und Claude Simons ‚nouveau réalisme‘ in La Route des Flandres (1960). Im letzten Drittel des Seminars werden mit Annie Ernaux, Les Années (2008), Heike Geißler, Saisonarbeit (2014) und Thomas Melle, Die Welt im Rücken (2016) zeitgenössische Entwicklungen des Realismus im Spannungsfeld von autobiographischen und autofiktionalen Herangehensweisen in der Gegenwartsliteratur diskutiert. Die Lektüre der literarischen Texte wird durch literaturgeschichtliche und -theoretische Reflexionen von u.a. Erich Auerbach und Roland Barthes flankiert.
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