16050 Seminar

SoSe 20: Politiken des Übelnehmens: Moralisches Gefühl und Ressentiment

Dirk Setton

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Obwohl die Lehrveranstaltung unter den erschwerten Bedingungen der „präsenzfreien“ Lehre durchzuführen sein wird, sollen die Seminarsitzungen dennoch vornehmlich in der Form des gemeinsamen mündlichen Gesprächs stattfinden. Neben Blackboard wird daher höchstwahrscheinlich Cisco Webex Meeting zum Einsatz kommen. Wie wir im Seminar mit der Form der digitalen Lehre genauer umgehen können, werden wir in der ersten Sitzung gemeinsam besprechen. close

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In aktuellen Debatten über die neuen Formen des Rechtspopulismus wird häufig behauptet, dass wir es mit einer „Politik des Ressentiments“ zu tun haben. Das Seminar verfolgt das Ziel, anhand der kritischen Diskussion einschlägiger Texte aus der Geschichte der modernen praktischen Philosophie den Begriff des Ressentiments besser zu verstehen. Dabei werden wir uns mit einer philosophischen Tradition auseinandersetzen, die von Nietzsche über Max Scheler bis hin zu Wendy Brown reicht und die den Begriff des Ressentiments als einen Grundbegriff der Moral-, Religions- und Gesellschaftskritik etabliert hat. Um die eher komplexen Überlegungen und Argumente dieser Tradition genauer einordnen zu können, werden wir uns aber zunächst einer anderen Tradition in der modernen Moralphilosophie zuwenden, die sich weitgehend unabhängig von der ersten Tradition entfaltet hat – nämlich der angloamerikanischen Tradition des Nachdenkens über grundlegende „moralische Gefühle“, die von Adam Smith ausging und von Peter Strawson und anderen wieder aufgegriffen wurde. Hier wird freilich nicht von „Ressentiments“, sondern von „resentments“ (von Haltungen des „Übelnehmens“ oder der „Empörung“) gesprochen – und zwar ohne jene polemische Absicht, die für die erste diskursive Spielart der Ressentiment-Kritik charakteristisch ist. In dieser Tradition geht es um den Versuch, die philosophische Klärung der Begriffe der moralischen Verantwortung oder der Tugend der Gerechtigkeit an eine Analyse unserer wirklichen, gewöhnlichen und geteilten ethischen Praxis zu binden, die in erster Linie als ein Gefüge von moralischen Gefühlsreaktionen („reaktiven Einstellungen“) verstanden wird. Obwohl beide Traditionen sehr unterschiedliche Ziele verfolgen (Moralbegründung vs. Moralkritik) und scheinbar gegenläufige Begriffe in den Vordergrund heben (resentments als Ausdruck moralischer Vernunft vs. Ressentiments als irrationale Haltungen), geht das Seminar von der Überzeugung aus, dass das moralische Gefühl des resentment und die Haltung des Ressentiments in einem inneren oder begrifflichen Zusammenhang stehen. Der Versuch besteht somit darin, eine neue Perspektive auf das Phänomen des Ressentiments dadurch zu gewinnen, dass die beiden genannten philosophischen Traditionen in eine kritische Konstellation gebracht werden. close

Suggested reading

Améry, Jean: „Ressentiments“. In: Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. Stuttgart 1977, S. 114-144. Brown, Wendy: „No Future for White Men. Nihilism, Fatalism, and Ressentiment“. In: In the Ruins of Neoliberalism. The Rise of Antidemocratic Politics in the West. Columbia University Press 2019, S. 161-188. Fassin, Eric: Revolte oder Ressentiment. Über den Populismus, Berlin: August 2019. Eribon, Didier: Rückkehr nach Reims. Berlin: Suhrkamp 2009. Fricker, Miranda: „Whats the Point of Blame? A Paradigm Based Explanation“, in: Nous 50.1 (2016), S. 165-183. Nietzsche, Friedrich: Zur Genealogie der Moral. In: Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Kritische Studienausgabe, Bd. 5. Berlin: De Gruyter 1999. Nussbaum, Martha: Anger and Forgiveness: Resentment, Generosity, Justice. Oxford University Press 2016. Scheler, Max: Das Ressentiment im Aufbau der Moralen. Frankfurt a.M.: Klostermann 1978. Smith, Adam: Theorie der ethischen Gefühle. Hamburg: Meiner 2010. Strawson, Peter F.: „Freedom and Resentment“. In: Freedom and Resentment and Other Essays. London, New York: Routledge 2008, S. 1-28. Walker, Margaret U. „Resentment and Assurance“. In: Moral Repair. Reconstructing Moral Relations after Wrongdoing. Cambridge University Press, 2006, S. 110-150. close

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