SoSe 21: Geburten im Film – Erzählungen vom Lebensanfang
Björn Hochschild
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Dröhnendes Motorengeräusch erklingt. Dicht über dem Asphalt fliegt ein Kamerablick in enormer Geschwindigkeit um die Kurven einer hügeligen Landschaft. Ein Schnitt führt ins Cockpit eines Rennautos. Kurz vor dem Ziel wird es überholt – von einem Marseiller Taxifahrer. Er befindet sich in seinem ganz eigenen Rennen: Nicht gegen andere Autos, sondern gegen die Zeit, die der schwangeren Frau auf seinem Rücksitz bleibt, ehe ihr Kind geboren wird. Das Taxi erreicht als erstes das Rennziel, schießt über dieses hinaus und parkt unter quietschenden Reifen mit rasantem U-Turn vor dem nächstgelegenen Krankenhaus. Der schwungvolle Fahrtstopp bringt die Fruchtblase der Frau zum Platzen. Ärzte eilen herbei, doch es ist zu spät: Das Kind muss auf dem Rücksitz geboren werden.
Die Geburtsszene, mit der TAXI 2 (Luc Besson, FR 2000) beginnt, ist längst nicht die einzige der Filmgeschichte, die eine Metapher der Geburt als Wettlauf gegen die Zeit ausfaltet. Die Filmgeschichte kennt zahlreiche weitere solcher Szenen, in denen die Zeitlichkeit filmischer Bilder den Beginn eines neuen Lebens an Taktung und Timing meist komödiantischer Figurationen bindet. Diese „typische“ Szene einer Geburt steht wiederum in Beziehung zu anderen Szenen, die eigene Familienähnlichkeiten ausbilden: Seien es Geburten als monströse Ereignisse (etwa in der ALIEN-Reihe), als Eigensinnigkeiten des Körpers (etwa in A QUIET PLACE, John Krasinski, US 2018) oder als verstecktes, geschlechtergetrenntes Ereignis im Verborgenen (etwa im Hinterzimmer in STAGECOACH, John Ford, US 1939).
Diese Veranstaltung möchte einen Blick auf unterschiedlichste Arten der filmischen Erzählungen vom Lebensfang werfen. Ziel ist es dabei nicht, die Geburtsszenen hinsichtlich ihres repräsentationalen Wertes zu befragen. Es geht also nicht darum aufzuzeigen, dass eine nicht-pathologische Geburt selten auf einem Autorücksitz endet; oder, dass Geburtsvorgänge sich kaum darin erschöpfen, dass die Gebärende einige Male laut atmet und jemand Beistehendes (oft männlich) einige Male „Pressen, Pressen“ ruft. Gleichwohl drängen sich Diskrepanzen zwischen realweltlichen Geburtserfahrungen und scheinbar filmspezifischen Vorstellungen von Geburten auf und wollen thematisiert werden.
Der Veranstaltung sollen die auffälligen Eigensinnigkeiten filmischer Erzählungen von Geburten deshalb zur Ausgangslage werden: Die metaphorischen, thematischen, dramaturgischen und ästhetischen Spezifitäten, die sich in den unzähligen Geburtsszenen der Filmgeschichte ausgebildet haben, werden als Teil eines filmischen Denkens untersucht; etwa über das Herstellen, Entstehen und Beginnen von Neuem, über den Anfang und das Anfangen, über die (Eigen-)Sinnigkeit von Körpern, über Geschlechterrollen und -identitäten oder über Liebesbeziehungen.
Voraussetzungen und Seminargestaltung:
Die Veranstaltung findet digital statt und wird sowohl synchrone als auch asynchrone Bestandteile beinhalten. Ein Mikrophon ist für die Diskussionsteilnahme Voraussetzung und eine Kamera für die Diskussionskultur wünschenswert.
Die Situation eines erneuten digitalen Semesters stellt uns alle weiterhin vor besondere Herausforderungen. Um diesen gerecht zu werden, möchte ich Ihnen vor Semesterbeginn die Möglichkeit zur Mitgestaltung geben: Sollten Sie vorhaben, diese Veranstaltung zu besuchen und Wünsche, Ideen oder Fragen zur Gestaltung, zum Ablauf oder Inhalt haben, schreiben Sie mir eine E-Mail an: bjoern.hochschild [at] fu-berlin.de.
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