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Colloquium
SoSe 22: Exegese
Ralf Schlechtweg-Jahn
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Dieses Kolloquium gilt im Mastermodul "Literatur- und Kulturgeschichte" als Seminar.
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Das frühe Christentum lebte in Erwartung eines nahen Weltendes, was dann bekanntlich nicht kam. Dieses Nichtereignis konfrontierte christliche Gelehrsamkeit mit einer Fülle un-erwarteter Probleme, die in den Evangelien gar keine Rolle spielten: die Herstellung eines einheitlichen Bibeltextes, der Umgang mit dem Judentum, die Bewältigung der antiken Phi-losophie und Mythologie, und nicht zuletzt die Etablierung einer einheitlichen Religion in staatstragender Funktion.
Mittelalterliche Gelehrte haben in solchen Kontexten eine ganze Reihe von Interpretati-onsverfahren – Allegorese, Lehre vom Vierfachen Schriftsinn, Typologische Bibeldeutung etc. - entwickelt, um dieser Probleme irgendwie schlüssig Herr zu werden. Wir werden zunächst diese Grundlagen mittelalterlichen, gelehrten Denkens an ausgewählten Original-texten exemplarisch genauer betrachten.
Darüber hinaus wird es grundsätzlich auch um die Frage gehen, was die offensichtliche gesellschaftliche Bedingtheit jedes wissenschaftlichen Denkens eigentlich für unsere eige-ne Tätigkeit bedeutet – wird späteren Jahrhunderten unser Denken genauso so seltsam, willkürlich und mitunter bizarr erscheinen, wie mittelalterliche Gelehrsamkeit uns heute erscheinen kann? Oder gibt es so etwas wie wissenschaftlichen Fortschritt unabhängig von der gesellschaftlichen Bedingtheit des Denkens?
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