16327 Seminar

SoSe 22: Ansteckende Debatten. Pest und Pestilenzen in Antike und Früher Neuzeit

Benjamin Wallura

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Pest und andere Pestilenzen gehörten zweifellos zu den verheerendsten und meist diskutierten Krankheiten von der Antike bis in die Frühe Neuzeit. Von der Bibel bis in die frühmoderne Wissenschaft haben sie Spuren hinterlassen. Insbesondere die Pestepidemien des sogenannten ?Black Death’ (1347?52) bis hin zur ?Second Pandemic’, wie sie vor allem im 17. Jahrhundert grassieren sollte, stellten keinesfalls ein exzeptionell europäisches Phänomen dar, sondern erstreckten sich über weite Teile Afro-Eurasiens. Nicht zuletzt die rezente Geschichte von Covid19-Ausbrüchen weltweit hat dazu geführt, dass die Geschichte epidemischer Krankheiten, wie etwa der Pest, immer wieder in Anspruch genommen und befragt worden ist; ein Umstand, der einer gemeinsamen kritischen Reflexion von Philologie, Geschichtswissenschaft und Philosophie bedarf. Zu diesem Ziel wollen wir im Seminar einen Blick auf einflussreiche und paradigmatische Texte aus der Geschichte der Seuchen werfen, sie lesen, historisch einordnen und im Plenum kommentieren und interpretieren. Von Thukydides, Hippokrates, Galen, Lukrez, Vergil und Ovid in der Antike, über Gabriele de' Mussi, Girolamo Fracastoro und Girolamo Mercuriale in der Renaissance, bis hin zu den akademischen Pest- und Pestilenz-Debatten an den frühneuzeitlichen, europäischen Universitäten vor allem des 17. Jahrhunderts, werden wir uns in diachroner Perspektive einen Überblick über Pestilenz-Narrative vor allem in der europäischen Tradition erarbeiten und diese kritisch analysieren. Unsere maßgeblichen Quellen werden lateinischsprachig sein, die jedoch stets durch Übersetzungen (im Plenum und im Black Board) begleitet sein werden. Lateinkenntnisse sind hilfreich, aber keine Bedingung für die Teilnahme am Seminar. Insbesondere Studierende, die sich Lateinkenntnisse erarbeiten oder diese vertiefen wollen, sind mehr als willkommen. Zu jeder Sitzung werden wir einen relevanten Text aus der Forschungsliteratur begleitend diskutieren. Zwei dezidierte Methodensitzungen werden sich der Recherche und Erschließung antiker wie frühneuzeitlicher Texte und Quellen widmen. Unsere primären Seminartexte werden sich aus diversen dieser Quellen und Textsorten zusammensetzen: antike Lehrdichtung und Epik, Historiographie und Fachschriftstellerei sowie – vor allem in Renaissance und Früher Neuzeit – lateinische Pesttraktate, frühneuzeitliche studentische und professorale Dissertationen und Disputationen und – ergänzend – vernakluarsprachliche ärztliche Ratgeber, Rezeptbücher sowie offizielle Verlautbarungen und Pest-Ordnungen. Wie wurden Pestilenzen in Antike und Früher Neuzeit klassifiziert? Wie erklärte man ihren Ursprung? Wo kamen sie her? Wie ging eine Ansteckung (contagium) vonstatten? Wie konnten sie sich so schnell verbreiten? Welche Mittel wurden zu ihrer Prävention und Heilung vorgeschlagen und angewandt? War es ethisch vertretbar vor einer Pestilenz zu fliehen? Was passierte mit infizierten Häusern? Welche Quarantänemaßnahmen wurden ergriffen? Wann und wie wurden ganze Städte abgeriegelt? Welche besondere Gesetzgebung herrschte in Zeiten der Pest? Wie wurden Gesundheitspässe kontrolliert? Wer übernahm die Fürsorge der Infizierten? Welchen Effekt hatten Epidemien auf das Verhältnis von arm und reich? Welche Auswirkungen hatte sie auf geschlechtsspezifische Rollen innerhalb der Gesellschaft? Wie ging man mit den Toten um? Wie wurden Begräbnisse bei hoher Ansteckungsgefahr organisiert? Gab es gar Leugnungen? Und wie effektiv waren letztlich die Maßnahmen und wie diszipliniert wurden sie umgesetzt? Anhand dieser und ähnlicher Fragen wollen wir uns zugleich mit grundlegenden Konzepten der antiken wie frühneuzeitlichen Philosophie und Wissenschaft (Korpuskular- und Miasmentheorien, Humoralpathologie, Fermentation, Ansteckungstheorien, Ethik usw. usw.) vertraut machen, insbesondere mit der Rezeption und Transformation antiken Wissens in der Frühen Neuzeit. Lateinkenntnisse sind für die Teilnahme nicht obligatorisch. Das Seminar richtet sich an Studierende der Latinistik, der Geschichtswissenschaft, der Literaturwissenschaft, Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte sowie anderer affiner Fächer gleichermaßen. close

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