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WiSe 13/14: Der 'niedere' Roman der Frühen Neuzeit in Spanien und Frankreich: Subjektivität, Theatralität und Ökonomie

Urs Urban

Kommentar

Die Rede von der ‚Ökonomisierung der Gesellschaft‘ ist aus den Kultur- und Geisteswissenschaften heute genauso wenig wegzudenken wie aus dem Feuilleton. Sie beschreibt die radikale ‚Beschleuni-gung‘, mit der „im Weltinnenraum des Kapitals“ (Sloterdijk) die Logik des Ökonomischen von allen Lebensbereichen Besitz ergreift; zugleich suggeriert sie, in der Vergangenheit sei dies anders gewesen – so als sei ‚früher‘ – und das heißt ja in der Regel: vor der Moderne – das ‚Gesellschaftliche‘ vom Ökonomischen unberührt geblieben. Dabei ist das Auftreten des bürgerlichen Subjekts bereits in sei-nen Anfängen in konstitutiver Weise von der Emergenz des ökonomischen Dispositivs kontaminiert. Bei allen Besonderheiten der aktuellen Situation reicht also die Geschichte des ‚unternehmerischen Selbst‘ weit zurück. Sie lässt sich zurückverfolgen bis zu jenem ‚fruchtbaren Augenblick‘, in dem im Zusammenspiel von theatralem und wirtschaftlichem Handeln ein Prototyp des bürgerlichen Subjekts auf den Plan tritt und im medialen Dispositiv – also etwa auf der Bühne oder, hier entscheidender, im literarischen Text – sichtbar wird. Bereits in der spanischen Literatur der zweiten Hälfte des 16. Jahr-hunderts lässt sich eine solche Konstellation beobachten: Im Pikaroroman treten Subjekt, Theatralität und Ökonomie in paradigmatisch neuer Weise zusammen. Der Lazarillo steht damit am Anfang einer Geschichte der literarischen Modellierung des ökonomischen Menschen und auch seine Nachfolger (Guzmán de Alfarache, die Pícara Justina, der Buscón und Marcos de Obregón) sehen sich mit Prob-lemen ökonomischer Art konfrontiert (und lösen diese auf ganze ähnliche Weise wie der Lazarillo). Performative Kompetenz, so ließe sich behaupten, erweist sich (schon) im Pikaro-Roman als die Grundlage ökonomisch erfolgreichen Handelns – Tausch und Täuschung sind (schon) hier funktional miteinander verzahnt. Dieser Problemzusammenhang verschiebt sich nach einer relativ kurzen Kon-junktur im spanischen Roman in den französischen Roman des 17. und frühen 18. Jahrhunderts (es handelt sich mithin um einen spezifisch ‚romanistischen‘ Problemzusammenhang), um auf diesem Weg jenes bürgerliche Subjekt hervorzubringen, das dann (erst) im deutschen Bildungsroman vollends zu sich kommt. Vor diesem Hintergrund wollen wir sechs Romane – drei spanische, drei französische – im Seminar lesen und überlegen, wie das literarische Wissen Aufschluss über die Verfasstheit des ökonomischen Menschen gibt und wie sich umgekehrt (vergangenes und aktuelles) Wirtschaftswissen für die Lektüre ‚literarischer‘ Texte produktiv machen lässt. Die TeilnehmerInnen werden nicht alle sechs Romane lesen müssen – aber doch jede(r) wenigstens einen. Weitere Texte zu Theorie und Geschichte von Li-teratur und Ökonomie werden in Ausschnitten zur Verfügung gestellt. Scheinerwerb durch Komodera-tion einer Sitzung und Hausarbeit. Texte: Anonym: Lazarillo de Tormes – Mateo Alemán: Guzmán de Alfarache – Francisco de Queve-do: El Buscón – Charles Sorel: Histoire comique de Francion – Antoine Furetière: Le roman bourgeois – Alain-René Lesage: Gil Blas de Santillane Schließen

16 Termine

Regelmäßige Termine der Lehrveranstaltung

Do, 10:00 - 12:00 16 Termine

Do, 17.10.2013 10:00 - 12:00

Dozenten:
Dr. Urs Urban