Seminar (Lektürekurs) David Jünger Vom Ende der Emanzipation. Jüdische Zeitdiagnosen vor dem Holocaust (Lektürekurs) Mit der deutschen Reichsgründung im Jahr 1871 schien die Emanzipation der deutschen Juden nahezu vollendet. Der im Gründungsakt sanktionierten rechtlichen sollte nun nur noch die gesellschaftliche Gleichstellung folgen. Es kam jedoch anders. Den Gründerjahren folgten der Beginn des politischen Antisemitismus, der Aufstieg der Antisemitenparteien und schließlich der Erste Weltkrieg samt der berüchtigten "Judenzählung". Die Weimarer Demokratie schien den Antisemitismus zunächst einzuhegen, geriet aber selbst bald in die Defensive. Spätestens ab dem Ausgang der 1920er Jahre deutete sich das Ende des Liberalismus und mit ihm auch das Ende des Emanzipationszeitalters an. Der Nationalsozialismus beendete schließlich die jüdische Emanzipation vollständig. In dem Seminar werden einige Werke der umfangreichen deutsch-jüdischen Publizistik jener Jahre untersucht. Im Seminar kommen unterschiedliche religiöse und politische Strömungen des deutschen Judentums zu Wort: die Liberalen, die Zionisten, die Orthodoxen und die Deutschnationalen. Dabei stehen die Selbstwahrnehmungen und Deutungen der deutschen Juden in den Krisenjahren, in der vielfach diagnostizierten "Zeitenwende" im Mittelpunkt und nicht der Antisemitismus der sie umgebenden nichtjüdischen Gesellschaft. Wir wollen lesen und diskutieren, wie die Autoren die Vergangenheit im Lichte der Gegenwart deuteten und welche Zukunftsprognosen sie entwarfen. Die behandelten Werke bilden dabei ein Panoptikum jener kurzen Epoche, in denen die Hoffnung auf die deutsch-jüdische Symbiose erodierte, bevor sie der Holocaust endgültig begrub. Ort: Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg, Sophienstr. 22a, Raum 1.01 Zeit: Donnerstag, 10-12 Uhr Empfohlene Sekundärliteratur - Guy Miron, The Waning of Emancipation. Jewish History, Memory, and the Rise of Fascism in Germany, France, and Hungary, Detroit 2011. - Michael Brenner: The Renaissance of Jewish Culture in Weimar Germany, New Haven 1996. - Heinz Mosche Graupe, Die Entstehung des modernen Judentums. Geistesgeschichte der deutschen Juden 1650-1942, Hamburg 1969. - Amos Elon: Zu einer anderen Zeit. Porträt der jüdisch-deutschen Epoche (1743-1933, München u.a. 2003. - Thomas Meyer: Zwischen Philosophie und Gesetz. Jüdische Philosophie und Theologie von 1933 bis 1938, Leiden/Boston 2009. Auswahl der Werke (Änderungen vorbehalten) - Constantin Brunner: Von den Pflichten der Juden und von den Pflichten des Staates (1930) - Gustav Krojanker, Zum Problem des neuen deutschen Nationalismus: Eine zionistische - Orientierung gegenüber den nationalistischen Strömungen unserer Zeit (1932) - Alfred Döblin: Jüdische Erneuerung (1933) - Joachim Prinz: Wir Juden (1934) - Hans Joachim Schoeps: Wir deutschen Juden (1934) - Simon Schwab: Heimkehr ins Judentum (1934) - Bruno Weil: Der Weg der deutschen Juden (1934) - Arnold Zweig: Bilanz der deutschen Judenheit (1934) - Margarete Susman, Der jüdische Geist (1934) - Joseph Carlebach, Das gesetzestreue Judentum (1936) - Altmann Adolf: Volk im Aufbruch. Diaspora in Bewegung. Reflexionen zur jüdischen Zeitgeschichte (1936) - Theodor Wolff: Der Marsch durch zwei Jahrzehnte (1936) - Isaac Breuer, Weltwende (1938) - Julius Bab: Leben und Tod des deutschen Judentums (1939) - Stefan Zweig: Die Welt von gestern (1941) - Isaac Breuer, Sch'ali Srufah. Erinnerungen an das deutsche Judentum (1942) Schließen