16200 Vorlesung

WiSe 14/15: Hellenistische Dichtung - ihre Literaturtheorie und Ästhetik

Gyburg Uhlmann

Kommentar

Ende des 4., Anfang des 3. Jahrhunderts ereignet sich in Griechenland etwas Erstaunliches, etwas, das es vorher nicht gegeben hatte. In Alexandria, einem der neuen Zentren der hellenistischen Welt, entsteht ein Modernitätsbewußtsein, das einen deutlichen Bruch mit der Tradition vollzieht. Homer und die kulturelle Tradition sind für die neuen Dichter, die im Zentrum der Macht ein Refugium haben, eine als klassisch und unzeitgemäß empfundene Vergangenheit. Diese Vergangenheit kann als Folie für das eigene Dichten benutzt werden, sie kann spielerisch transformiert, selbstreflexiv thematisiert und ironisch destruiert werden. Die neue Poetologie und Dichtung ist Zeichen und Vorreiter eines allgemeinen kulturellen Wandels, der dramatisch und rasant war. In der Vorlesung werden die Protagonisten dieser Innovationsbewegung in ihrem kulturellen Kontext betrachtet: Kallimachos, der geistige Vater der alexandrinischen Dichtung, Theokrit, der Meister der neuen, kleinen Themen, und Apollonios von Rhodos, der Erfinder einer neuen Form epischen, romanhaften Dichtens. Ihr Selbstbewußtsein als Schöpfer und Vertreter eines neuen Zeitalters der Literatur steht in einem produktiven Spannungsverhältnis zur hellenistischen Wissenschaftstheorie und Philosophie, es spiegelt sich in der zeitgenössischen Kunst wider und wird zum fast unangefochtenen Maßstab der neoterischen und augusteischen Dichter. Die Neuheit aller dieser Faktoren bietet Grund zum Staunen. In der Vorlesung wollen wir dieses Staunen zum Ausgangspunkt nehmen und die poetologischen, literaturtheoretischen und kulturwissenschaftlichen Konsequenzen dieser Aufbruchsbewegung und dieses Innovationskults in der Theorie und in der Praxis der Dichtung beleuchten. Interessenten: Ohne die hellenistische Dichtung und ihre Theorie ist die Dichtung der augusteischen Klassik nicht zu denken und nicht zu verstehen. Die Vorlesung richtet sich daher außer an Gräzisten nachdrücklich auch an Studierende der Lateinischen Philologie. Alle Texte werden in der Vorlesung auch in Übersetzung vorgestellt. Hörer aller Semester sind willkommen. Literatur zur Einführung: Bernd Effe, Die Destruktion der Tradition: Theokrits mythologische Gedichte, in: ders., Theokrit und die griechische Bukolik, Darmstadt 1986, 56-88; ders., Klassik als Provokation. Tradition und Innovation in der alexandrinischen Dichtung, in: W. Vosskamp (Hg.), Klassik im Vergleich. Normativität und Historizität europäischer Klassiken, Stuttgart 1993, 317-330; B. Effe und G. Binder, Die antike Bukolik: Eine Einführung. München/Zürich 1989; Gregory Hutchinson, Hellenistic Poetry, Oxford 1997; Bruno Snell, Über das Spielerische bei Kallimachos, in: Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen, Hamburg 21948 (u.ö.); Walter Wimmel, Kallimachos in Rom. Die Nachfolge seines apologetischen Dichtens in der Augusteerzeit, Wiesbaden 1960. Richard Hunter: The Shadow of Callimachus. Studies in the Reception of Hellenistic Poetry at Rome, Cambridge 2006; Gyburg Radke, Die Kindheit des Mythos, Die Erfindung der Literaturgeschichte in der Antike, München 2007. Textausgaben: Apollonius Rhodius, Argonautica, ed. Hermann Fränkel, Oxford (OCT) 1961; Apollonios von Rhodos: Das Argonautenepos, griechisch-deutsch, hg. von R. Glei und St. Natzel-Glei (2 Bde), Darmstadt 1996; Callimachus, ed. Rudolf Pfeiffer (2 Bde), Oxford 1985/6; Kallimachos: Werke. Griechisch und deutsch, hg. von Markus Asper, Darmstadt 2004; A.S.F. Gow, Bucolici Graeci, Oxford 1952; Theokrit, Gedichte. Griechisch-deutsch, hg. u. übers. v. Bernd Effe, Darmstadt 1999. Schließen

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