Nach der Machtübernahme 1933 wird von Seiten des Propagandaministeriums ein genuin nationalsozialistisches Theater der Hunderttausend zum Zweck der ‚Volksbildung' gefordert und in massentheatralen Inszenierungen, die die politische Selbstdarstellung des Regimes verdoppeln, umgesetzt. Aus welchem Blickwinkel lässt sich das historische Material retrospektiv betrachten? Ausgehend von aktuellen Inszenierungen des Kollektiven ist die Vorlesung theaterhistoriografischen und komparatistischen Fragestellungen gewidmet. Exemplarischer Schwerpunkt ist der spezifische Form- und Funktionswandel nationalsozialistischer Masseninszenierungen an der Schnittstelle zwischen Theater und Versammlung. Sie werden mit vorgängigen Formen des Massenspiels und des chorischen Theaters (u.a. Passions-, patriotische Fest-, Gewerkschaftsspiele, kommunistische Agitprop-Revuen, russische Revolutionsspiele, Lehrstücke) sowie mit anderen faschistischen Massenspektakeln (Italien, Österreich) konfrontiert, um ihre Spezifik lesbar zu machen. Darüber hinaus wird es um das Fortleben kanonischer ästhetischer Diskurse in der begleitenden Propaganda, die Rolle der Tanz- und Theateravantgarde sowie das Verhältnis zur massenmedialen Entwicklung gehen: Inwiefern zeugt der Formwandel des Massentheaters auch von einer zeitgenössischen Akzentverschiebung medialer Dispositive - von der akustischen zur visuellen Politik? Und was bedeutet das für die Rede von der ‚Ästhetisierung von Politik, welche der Faschismus betreibt' (Benjamin), und ihrer gewaltförmigen Kehrseite (Nancy)? Einführender Lektürevorschlag: Jan Lazardzig/Viktoria Tkaczyk/Matthias Warstat (2012): Theaterhistoriografie. Tübingen: Francke; Rainer Stommer (1985): Die inszenierte Volksgemeinschaft. Marburg: Jonas. Schließen