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Graduate Course
WiSe 14/15: Daniel Paul Schreber und seine Interpreten
Jenny Willner
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Das Vorhaben, gemeinsam Daniel Paul Schrebers "Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken" (1903) Seite für Seite mit voller Konzentration zu lesen, ist selbst ein denkwürdiges Unterfangen. Schrebers Weltbild ist als paranoid und psychotisch diagnostiziert worden, seine Schrift gilt manchen als Manifestation einer präfaschistischen Persönlichkeitsstruktur, anderen jedoch als subversive Flucht vor ebensolchen Tendenzen. Erwarten Sie nichts allzu Verrücktes: Was Sie vorfinden werden, ist streng systematisiert und generell von der Vernunft nicht zu trennen. Schrebers Denkwürdigkeiten sind in der Sprache eines Juristen und wilhelminischen Bildungsbürgers verfasst, sie bilden ein Geflecht aus literarischen, politischen, wissenschaftshistorischen und theologischen Referenzen. Was in den Wahnvorstellungen Schrebers zum Ausdruck kommt, ist von Eric Santner als die geheime Geschichte der Moderne im Allgemeinen und Deutschlands im Besonderen gelesen worden: "My Own Private Germany" (1997).
Dass es unmöglich ist, Schrebers Schrift zu analysieren, ohne sich zu seinem Schüler zu machen, zählt zu den Dilemmata, mit denen sich bereits Freud konfrontiert sah. Um über dieses Buch mitreden zu können, müssen wir uns zunächst das Universum Schrebers mitsamt dazugehörigem Vokabular mühsam aneignen: von "Nerven-" und "Grundsprache" über "Nichtdenkungsgedanke" hin zu "flüchtig hingemachte[n] Männer[n]", "Aufschreibesystem" und "Seelenmord". Wir werden auf die Psychiatrie um 1900 zu sprechen kommen, auf den Vater Moritz Schreber, der nicht nur den Schrebergarten erfand, sondern auch einige sadistisch anmutende orthopädische Geräte für Heranwachsende, die er an seinen Söhnen ausprobierte. Wir werden psychoanalytische und poststrukturalistische Theorie lesen, uns mit spezifisch literaturwissenschaftlichen Zugängen befassen ebenso wie mit medien- und sozialhistorischen Annäherungen an das Thema. Im Zentrum des Seminars stehen Schreber, seine Schrift und diejenigen, die über ihn schrieben: Walter Benjamin, Elias Canetti, Sigmund Freud, Jacques Lacan, Gilles Deleuze, Friedrich Kittler, William G. Niederland, Morton Schatzman, Alice Miller, Eric Santner u.a. Zur Vorbereitung erkundigen Sie sich bitte über die Beiträge dieser Personen zur Schreber-Forschung und besorgen Sie den Primärtext in folgender Ausgabe:
Daniel Paul Schreber: Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken nebst Nachträgen. Mit einem Nachwort von Wolfgang Hagen. Kadmos Kulturverlag, Berlin 2003.
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