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WiSe 15/16: Sterben und Erzählen

Christina Lydia Färber

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Der Tod eines Erzählers ist irritierend: Wer erzählt (weiter), wenn doch der Tod als das Ende von ,Ich‘ und Sprache betrachtet werden kann? Momente des Todes können von Sterbenden für gewöhnlich nicht kommuniziert werden. In literarischen Texten hingegen werden sie oftmals aus einer Innensicht erzählt. Das eigentlich Unmögliche des Erzählten scheint dabei auf das Literarische des Textes hinzuweisen, die Bedingungen von Erzählen werden als Artifizialität beobachtbar: Texte, deren perspektivisches Zentrum, ihre Darstellungs- und Wahrnehmungsorigo, stirbt oder den Todesmoment erzählt, lenken mitunter die Aufmerksamkeit darauf, dass sie erzählen. Graduell unterschiedliche Versuchsanordnungen der literarischen Darstellung dieses Moments lassen sich in den Erzählmodi zahlreicher Texte finden: im unabwendbaren Perspektivenbruch (wie in Lev Tolstojs Der Tod des Ivan Il’ic), in transitorischen Bewusstseins- (wie in Thomas Lehrs Frühling) und Aufschreibesystemen (wie in Victor Hugos Der letzte Tag eines Verurteilten), im Eingeständnis erzählerischer Wissensgrenzen (wie in E.A. Poes The Facts in the Case of Mr. Valdemar), in der Auflösung der Erzählperspektive (wie in Vladimir Nabokovs Der Späher), in einer motivischen Erzählprämisse (wie in Orhan Pamuks Rot ist mein Name) oder in einer Autofiktion (wie in Wolfgang Herrndorfs Arbeit und Struktur). Diese Momente scheinen nicht nur Topoi oder Motive der Literaturgeschichte zu sein, sondern auch ein selbstreferentielles, autopoietisches Reflektionsverfahren des Literarischen. In der Lektüre spezifischer Sterbeszenen soll im Seminar nicht nur eine komparatistische, motivgeschichtliche Betrachtung, sondern die Perspektive eines sterbenden Erzählers in literarischen Texten als Zentrum von Überlegungen zur Erzähltheorie und zum Literarischen herausgearbeitet werden. Anhand von u.a. repräsentationsskeptischen (nach denen den Dingen in ihrer bedingten Vergegenwärtigung durch Zeichen nach dem Leben getrachtet wird) und semantischen (der Tod als Black Box/semantische Leerstelle) Ansätzen sowie Literarizitätsdiagnosen (ausgehend von Walter Benjamins These, literarische Texte hätten sich ihre Autorität vom Tode geliehen) soll dabei auch der Fiktionsbegriff am narrativen Grenzfall von Sterben und Erzählen diskutiert werden. close