WiSe 15/16: Ordnung und Exzess. Die Liste als Stilmittel der Künste
Sakine Weikert
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Listen sind ein kulturell wie medial übergreifendes Phänomen. Bereits in der Antike wurden in Form der enumeratio rhythmisch vorgetragene Häufungen als Bestandteil der Rhetorik inszeniert. Einkaufszettel, Kataloge oder Kanonlisten strukturieren unser Alltagsleben, verbinden Disparates und erfüllen wichtige mnemotechnische Funktionen. In der Literatur werden diese praktischen Listen in poetische Listen transformiert, sei es der Schiffskatalog in Homers Ilias, die Gedichte Walt Whitmans oder die Kochkarten-Rezepte bei Georges Perec. Sie vollziehen Wortspiele, reflektieren Schreiben und Schrift und sie steuern die Narration, indem sie Erzählzeit dehnen, raffen, simultan berichten oder Leerstellen schaffen. Meist sind sie keine paratextuellen Bestandteile wie Widmung oder Überschrift, sondern bilden den eigentlichen Text eines Buches.
Als Mittel der Entgrenzung öffnen sich Listen zu allen Künsten. In der konkreten Poesie wird ein Einkaufszettel zu einem Gedicht mit visualisierten Treppen, in den Werken von Daniel Spoerri oder Sophie Calle werden Listen zu ausgefeilter Konzeptkunst. Wenn Camille Henrot in ihrem Video Große Fatigue die Ästhetik elektronischer Suchmaschinen aufgreift, oder indem jeder individuelle visuelle Listen auf Instagram kuratiert, wird deutlich, dass es neben der poetischen auch eine lautliche und bildnerische Gestalt der Liste gibt. Ihre ästhetische Wirkung reicht von Sachlichkeit bis Obsession, von Spannung bis Langeweile, von Ordnung bis Exzess: Gerade diese Ambivalenz macht die Liste zu einem schillernden Stilmittel der Künste. Praktik, Poetik, Ästhetik - entlang dieser drei Achsen widmet sich das Seminar dem ebenso weit verbreiteten wie auch oftmals marginalisierten Phänomen der Liste. In den Analysen befassen wir uns mit literaturtheoretischen Fragestellungen einer Poetik des Enumerativen (Sabine Mainberger), der ästhetischen Leseforschung (Wolfgang Iser) sowie des Paratextes (Gérard Genette). Die Materialien werden zu Semester-Beginn auf dem Portal iversity online zur Verfügung gestellt.
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