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Übung
WiSe 16/17: Dramaturgie zum Projekt "Staat1-4" von Rimini Protokoll
Imanuel Schipper
Kommentar
Politik wird seit jeher im Wesentlichen von Eliten bestimmt. Fast 100 Jahre nach der Weimarer Republik erhärten sich die Befürchtungen, dass PR-Strategen und privat finanzierte Beratungs- und Anwaltsteams die Geschicke zur Steuerung einer immer globaler agierenden Gesellschaft den Händen der Politiker entreißen. Zu oft entscheiden sich letztere immer kurzfristiger und unter größerem Handlungsdruck für die vermeintlich einzige Alternative. Besteht der Staat in seiner neoliberalen Ausprägung nur noch aus formellen aber schwachen Hülsen, nur noch aus Überbleibseln der Moderne, während essentielle Entscheidungen von Interessensverbänden und Unternehmen beeinflusst werden, die jeder rechtsstaatlichen Kontrolle durch die Hintertür ihrer internationalen Firmennetzwerke entwischen?
Im Auftrag des Haus der Kulturen der Welt dessen Projekt 100 Jahre Gegenwart entsteht aus vier Theaterarbeiten von Rimini Protokoll die Serie Staat 1–4, die sich exemplarisch mit Phänomenen der Postdemokratie beschäftigt. Die erste Produktion Top Secret International nimmt sich das globale Netz der Geheimdienste vor und spielt als Produktion der Münchner Kammerspiele ab Dezember 2016 in der Glyptothek. Was halten Staaten unter Verschluss? Welche Geheimnisse versuchen Nachrichtendienste aufzudecken? Wie werden diese gesammelt, übermittelt, ausgewertet? Ein Algorithmus und eine Smartwatch lassen die Besucher*innen selbst zu unauffällig Agierenden werden: als Journalist*in belauschen sie Ermittlungen fremder Geheimdienste, werden zu Whistleblower*innen, V-Leuten oder nehmen eine andere Identität an. Zwischen den Skulpturen und Gemälden eines Museums sind sie nur für Mitwissende von anderen Museumsbesucher*innen zu unterscheiden. Nach und nach öffnen sich ihnen Dateien und Archive zu Biografien und Geschichten aus Politik, Journalismus und Spionage. Global agierende Geheimnisträger*innen und Aktivist*innen stecken das Spielfeld ab. Die Besucher*innen beobachten und verfolgen einander, nehmen Kontakt auf, bilden Koalitionen und entziehen sich der Verbindung.
In diesem Seminar werden die dramaturgischen Aspekte und Problem dieser Produktion analysiert und diskutiert. Dabei geht es um Fragen des immersiven Theaters, der Game-Aspekte einer Vorstellung und der Relationalen Dramaturgie. Es werden theoretische Texte gelesen, aber auch die aktuellsten Arbeiten von Rimini Protokoll präsentiert und besprochen und die Produktion während den Proben besucht. Teil des Seminars ist eine Exkursion nach München im Dezember zur Vorstellung. (Datum wird bekannt gegeben / Kosten dafür tragen die Teilnehmer)
Der Seminarleiter, Imanuel Schipper, ist nicht nur Theater- und Kulturwissenschaftler, sondern langjähriger Dramaturg von Rimini Protokoll insbesondere auch bei Staat 1–4.
Literatur zur Einführung:
Colin Crouch. 2012. “Postdemokratie.” Suhrkamp Verlag.
Boenisch, Peter M. 2012. “Acts of Spectating: the Dramaturgy of the Audience's Experience in Contemporary Theatre.” www.criticalstages.org.
Schipper, Imanuel. 2016. „From Flâneur to Co-Producer“ in: Performing the Digital. (im Druck; PDF wird versandt)
www.rimini-protokoll.de
http://www.hkw.de/de/programm/projekte/2016/staat_1_4/staat_1_4_start.php
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4 Termine
Zusätzliche Termine
Fr, 03.02.2017 10:00 - 12:00Regelmäßige Termine der Lehrveranstaltung
Mi, 02.11.2016 18:15 - 21:00
Mi, 16.11.2016 18:15 - 21:00
Do, 17.11.2016 18:15 - 21:00
Do, 02.02.2017 18:15 - 21:00