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WiSe 19/20: Rückzug. Formen literarischer Weltabkehr

Kathrin Wittler

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„Dans la retraite on a d’autres manières de voir et de sentir que dans le commerce du monde“, heißt es in der Vorrede zu Rousseaus Briefroman Julie ou La nouvelle Héloïse (1761). Der Rückzug aus dem betriebsamen Verkehr der Welt ermögliche, so die Idee, andere Wahrnehmungs- und damit auch andere Schreibweisen. Einflussreich verteidigte Rousseau den tiefsinnigen, intimen „discours des solitaires“ auf dem Land gegen die galant-geselligen Umgangsformen in der Stadt und am Hof, denen er eine Tendenz zur Oberflächlichkeit und zum schnellen Witz vorwarf. Damit war und ist er nicht allein. Viele Philosoph*innen und Literat*innen sehen bis heute den Rückzug als Grundvoraussetzung ihres Schaffens an und gehen davon aus, dass er auch eine Rezeptionsbedingung ihrer Werke sei. In diesem Seminar werden wir uns in historisch vergleichender Perspektive mit literarischen Rückzugsphantasien auseinandersetzen und nach ihrem reflexiven Potential für das Verständnis von poetischer Kreativität und Produktivität fragen. Zunächst werden wir uns antike und mittelalterliche Rückzugsräume vom Landhaus über die Eremitenhöhle bis zum Kloster vergegenwärtigen. Anhand von ausgewählten Gedichten und Essays (Montaigne, Zimmermann, Emerson, Woolf, Marquard) werden wir nachvollziehen, wie diese Modelle des Rückzugs in der Neuzeit aufgegriffen und modifiziert wurden. Vor diesem Hintergrund werden wir die Klassiker der Rückzugsliteratur lesen: Rousseaus Rêveries du promeneur solitaire (1776–78), Tiecks Literarisierungen von Waldeinsamkeit (1796 und 1841), Thoreaus Walden (1854) und Nietzsches Also sprach Zarathustra (1883–1885). close