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Advanced Seminar
WiSe 20/21: Die Fallerzählung vom 15. bis zum 20. Jahrhundert
Wolfgang Neuber
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Die Fallerzählung ist eines der zentralen argumentativen Mittel der Literatur. In der Rhetorik taucht es in der Gestalt des „exemplum“ als illustrierendes Beweismittel (argumentum illustrans) auf, nicht zuletzt im „genus iudiciale“, der Gerichtsrede, die ohne Schilderung des zu verhandelnden Falls nicht auskommen kann. Von hier aus tritt die Fallerzählung ihren Siegeszug quer durch alle Wissensfelder und literarische Gattungen an. Da nach frühneuzeitlicher Auffassung nichts in der Welt geschieht, das nicht auf etwas anderes (meist: die göttliche Vorsehung) verweist, kann aus der Ereigniserzählung der „Neuen Zeitungen“ (ital. „novella“) die Novelle entstehen, die sich der Moralisierung in besonderer Weise öffnet. Von diesen juristischen, frömmigkeitsgeschichtlichen und moralischen Einsatzgebieten aus erobert die Fallerzählung mit der Entstehung der Psychologie im 18. Jahrhundert ein weiteres Feld, die psychologische Studie (bereits bei Moritz). Das Seminar verfolgt Spuren der Fallerzählung vom 15. bis ins 20. Jahrhundert.
Die Lehrveranstaltung findet als Blackboard-Seminar statt. Terminvereinbarungen für telefonische Sprechstunden sind ausdrücklich erwünscht!
Für die Bestätigung der aktiven Teilnahme müssen vier schriftliche Arbeiten im Umfang von je etwa fünf Seiten eingereicht werden. Hausarbeiten für eine Note sind bis zum 28. Februar 2021 abzugeben.
Textquellen:
Albrecht von Eyb: Ob einem manne sey zunemen ein eelichs weyb („Ehebüchlein“, 1472)
https://daten.digitale-sammlungen.de/0003/bsb00034298/images/index.html?fip=193.174.98.30&seite=5&pdfseitex=
Riederer: Spiegel der waren Rhetoric vss. M. Tulio. C. vnd andern getutscht (1493); bes. Kap. XIIf.
Ausg. Straßburg 1505:
https://reader.digitale-sammlungen.de//resolve/display/bsb10941881.html
https://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0000/bsb00002003/images/
Ausg. Straßburg 1509:
https://reader.digitale-sammlungen.de//resolve/display/bsb10941729.html
https://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0000/bsb00002042/images/
Ausg. Augsburg 1535:
https://reader.digitale-sammlungen.de//resolve/display/bsb10197252.html
https://reader.digitale-sammlungen.de//resolve/display/bsb10145172.html
Alhard Möller: Praxeos epistolicae (dt.; 1663)
https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10403488_00015.html
http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ183593603
Praxis epistolica (dt.; 1670)
http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ183593603
Wunderbarliche vnd erschrockliche newe Zeitung (1538)
https://books.google.de/books?id=c8RTAAAAcAAJ&printsec=frontcover#v=onepage&q&f=false
Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz/ Lust- und Lehrreicher Geschichte (1651)
https://reader.digitale-sammlungen.de//resolve/display/bsb11089994.html
Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mordgeschichte (3. Aufl. 1656)
https://reader.digitale-sammlungen.de//resolve/display/bsb11090049.html
Thomasius: Cautelen bey dem Studio der Poesie. In: ders.: Höchstnöthige Cautelen (1713). S. 149-163.
https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11253096_00001.html
Karl Philipp Moritz: Gnothi Sauton. Magazin für Erfahrungsseelenkunde. 10 Bde. (1783-1793)
http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ204507807
Schiller: Merkwürdige Rechtsfälle als ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit (1792)
https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10397208_00005.html
https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10397211_00005.html
Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795)
Kleist: Die Marquise von O*** (1808)
Hitzig: Der Neue Pitaval (1841)
Breuer/Freud: Studien über Hysterie (1895); bes. „Frl. Anna O...“
https://de.wikisource.org/wiki/Studien_%C3%BCber_Hysterie
Sigmund Freud: Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben („Der kleine Hans“; 1909)
Literatur:
Martin Lengwiler: Fallstudie oder Stichprobe? Regeln der historischen Kasuistik. In: ders.: Praxisbuch Geschichte. Einführung in die historischen Methoden. Zürich 2011. S. 55-75.
Ilse Nolting-Hauff: Die Stellung der Liebeskasuistik im höfischen Roman. Heidelberg 1959.
Reinhard M.G. Nickisch: Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts. Mit einer Bibliographie zur Briefschreiblehre (1474–1800). Göttingen 1969.
Arthur Baumgarten: Die Wissenschaft vom Recht und ihre Methode. Bd. 2/3: Kasuistik und zusammenfassende Darstellung. Neudr. d. Ausg. Tübingen 1920. Aalen 1978.
Conscience and Casuistry in Early Modern Europe. Ed. by. Edmund Leites. Cambridge 1988.
Albert R. Jonsen u. Stephen Toulmin: The Abuse of Casuistry. A history of moral reasoning. Berkeley u.a. 1989.
Komparative Kasuistik. Hg. v. Gerd Jüttemann. Heidelberg 1990.
Wolfgang Neuber: Fremde Welt im europäischen Horizont. Berlin 1991. – Zu den Briefstellern vgl. S. 117-146.
Karl-Heinz Kleber: Historia docet. Zur Geschichte der Moraltheologie. Münster 2005.
Art. „Briefsteller“ in: Histor. Wb. der Rhet.
Joachim Knape u. Stefanie Luppold: Kommentar zu Friedrich Riederers Spiegel der wahren Rhetorik. Wiesbaden 2010.
Fall – Fallgeschichte – Fallstudie. Theorie und Geschichte einer Wissensform. Hg. v. Susanne Düwell u. Nicolas Perthes. Frankfurt a.M. 2014.
Was der Fall ist. Casus und lapsus. Hg. v. Inka Müller-Bach u. Michael Ott. Paderborn 2014.
Emily Corran: Lying and Perjury in Medieval Practical Thought. A study in the history of casuistry. Oxford 2018.
A Historical Approach to Casuistry. Norms and expectations in a comparative perspective. Ed. by Carlo Ginzburg with Lucio Biasori. London u.a. 2019.
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