WiSe 20/21: Genozid in (Völkerstraf-)recht und Literatur: Begriffsgeschichtliche, rechtswissenschaftliche und literaturwissenschaftliche Annäherungen
Klaus Hoffmann-Holland
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Inhalt und organisatorische Hinweise
Im kommenden Wintersemester 2020/21 biete ich gemeinsam mit Prof. Dr. Susanne Zepp-Zwirner, Institut für Romanische Philologie, für das Modul "Thematische Vertiefung" ein Seminar zu interdisziplinären Perspektiven und Bezüge der Kriminologie mit dem Thema
Genozid in (Völkerstraf-)recht und Literatur:
Begriffsgeschichtliche, rechtswissenschaftliche und literaturwissenschaftliche Annäherungen
an.
Das Seminar, das zugleich am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften als komparatistisch angelegtes Hauptseminar konzipiert ist, nimmt aus rechtswissenschaftlicher wie literaturwissenschaftlicher Perspektive einen Schlüsselbegriff des Rechts in den Blick, der nach dem Holocaust als Kernereignis des Zweiten Weltkriegs entstanden ist, den Genozid-Begriff. Dabei wird eine kritische Diskussion kohärenter Begrifflichkeiten im Mittelpunkt stehen. Die Seminarkonzeption knüpft durch die historische Perspektive und ihre Methode auch an die Fachgeschichte an: Juristische Auslegungslehre und die Philologien haben sich im 19. Jahrhundert im Dialog entwickelt.
Die Seminararbeit ist entlang der Entwicklungslinien des Völkerstrafrechts strukturiert: Wir beginnen mit einer Diskussion literarischer und völkerrechtlicher Versuche, den Völkermord an den Herero und Nama und den Völkermord an den Armeniern zu erfassen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Entstehungsgeschichte von Rafael Lemkins Begriffsbildung von „Genozid“ als Straftatbestand. Hier gilt es auch, sich mit der Ereignisgeschichte des Holocaust, der Entstehungsgeschichte und aktuellen Rechtsfragen zur Auslegung des Völkermordtatbestandes auseinanderzusetzen. Sodann werden ausgewählte Prozesse und ihre literarischen Bearbeitungen in den Blick genommen: Ruanda, Jugoslawien (mit internationalen Tribunalen) und Guatemala (mit nationalem Tribunal). Das Seminar endet mit einer Diskussion der „eradierenden“ Praktiken gegen die indigene Bevölkerung in Brasilien und dem Völkermord gegen die Jesiden.
Die Einführungssitzung findet am 9. November von 10-12 Uhr über WebEx statt. Das Hauptseminar wird dann in Form eines Blockseminars am 21. und 22. Januar 2021 ebenfalls über WebEx den Fokus auf die Diskussion studentischer Präsentationen legen, die in der Zeit zwischen den Einführungssitzungen und dem Blockseminar erarbeitet und in einem digitalen Format freier Wahl (z.B. als Podcast, Padlet, etc.) der Seminargemeinschaft vorab zu zur Verfügung gestellt werden.
Der Erwerb eines Seminarscheins setzt neben der Einreichung des schriftlichen Referates (15-20 Seiten bei 1/3 Rand und 1 ½ Zeilenabstand) einen mündlichen Vortrag in der Diskussion im Blockseminar voraus. Abgabetermin des schriftlichen Referates zu einem der in der Einführungssitzung vergebenen Themen ist spätestens der 4. Januar 2021.
Anmeldungen für die rechtswissenschaftlichen Themen (1b, 2b, 3b, 4b, 5b, 6b, 7b, 8b) werden ab sofort im Sekretariat der Professur für Kriminologie und Strafrecht (kriminologie@fu-berlin.de) entgegengenommen.
Themen
1.) Entfesselte Kolonialgewalt: Der Völkermord an den Herero und Namaa) Verfahren literarischer Aufarbeitung: Uwe Timm, Morenga, München 1978.
b) Der Völkermord an den Herero und Nama: Historischer Hintergrund und Problematik einer rechtlichen Aufarbeitung von Kolonialverbrechen.
2.) Aghet – der Völkermord an den Armeniern
a) Historisches Gedächtnis und zeigenössische Mahnung: Über Fethiye Çetins autopoetischen Roman Anneannem (Meine Großmutter), Istanbul 2004 und Franz Werfels Die vierzig Tage des Musa Dagh, Berlin 1933.
b) Strafjustiz nach dem Ersten Weltkrieg: Die Leipziger Kriegsverbrecherprozesse, die Istanbuler „Unionistenprozesse“ und die rechtshistorische Dimension des Genozids an den Armeniern.
3.) Holocaust
a) Bilder des Leids: Über Ethik und Ästhetik in László Nemes Film Saul fia (Sauls Sohn), Budapest 2015.
b) Zum Umgang mit NS-Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland: Ulmer Einsatzgruppenprozess, die Frankfurter Auschwitz-Prozesse und die Prozesse gegen John Demjanjuk und Oskar Gröning.
4.) Zur Geschichte des Genozidbegriffs
a) Rechtsgeschichte literarisieren: Philippe Sands, East West Street: On the Origins of “Genocide” and “Crimes Against Humanity”, London 2016.
b) UN-Völkermordkonvention: Entstehungsgeschichte und aktuelle Rechtsfragen zur Auslegung des Völkermordtatbestandes: Geschützte Opfergruppen, der subjektive Tatbestand und das Kontexterfordernis der „Elements of Crimes“ des IStGH.
5.) Ruanda: Völkermord als Erbe des Kolonialismus
a) Afrikanisches Nachgedächtnis: Boubacar Boris Diop, Murambi, le livre des ossements, Paris 2000.
b) „Crime of crimes“: Die justizielle Aufarbeitung des Völkermords in Ruanda durch ICTR und nationale Gerichte.
6.) Srebrenica
a) Zeugenschaft und Literatur: Über Emir Suljagic, Srebrenica: Notizen aus der Hölle, Wien 2008.
b) Srebrenica: Individuelle Verantwortlichkeit und Staatenverantwortlichkeit im Spiegel der Rechtsprechung des ICTY und des ICJ.
7.) Guatemala: Der Völkermord an den Ixil
a) Rodrigo Rey Rosa, La cola del dragón, Valencia 2014.
b) Neue Wege im Umgang mit Genoziden: Die guatemaltekische Wahrheitskommission „Comisión para el Esclarecimiento Histórico“ und der Prozess gegen Efraín Ríos Montt – eine Bilanz.
8.) Brasilien: „Eradierende“ Praktiken gegen die indigene Bevölkerung und der Genozidbegriff
a) Eine autochthone Stimme: Ailton Krenak, O amanhã não está à venda, São Paulo 2020.
b) „Eradierende“ Praktiken gegen die indigene Bevölkerung Brasiliens und der Genozidbegriff.
9.) Der Völkermord an den Jesiden
a) Einen vergessenen Genozid erzählen: Ronya Othmann, Vierundsiebzig, Klagenfurt 2019.
b) Völkermord und Weltrechtsprinzip: Völkerstrafrechtlicher Rahmen, Voraussetzungen für eine Ausübung universeller Jurisdiktion und aktuelle Entwicklungen
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Mon, 2020-11-09 10:00 - 12:00
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