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Proseminar
SoSe 17: Poetik des Atems
Willi Reinecke
Kommentar
In Musils Kapitel Atemzüge eines Sommertags kommt die Narration zu einem Stillstand, in dem Inneres und Äußeres zusammenfallen. Die repräsentativen Funktionen der Sprache werden in einer „zweiten Sprache“ (Deleuze) aufgelöst, die durch Atem- und Betonungstechnik, durch Modulation bestimmt wird. Der Moment zwischen Ein- und Ausatmen markiert einen Schwebezustand, ein „das Atem anhaltende Sagen“ (Lévinas). So beschreibt Lévinas die Nähe zum Anderen als eine „Atemlosigkeit, die das außerordentliche Wort jenseits artikuliert.“ Eine ganz andere Atemlosigkeit des Geistes manifestiert sich in Erofeevs Moskva – Petuški, wenn die im alkoholisierten Atem zerstörte Syntax in einer durch karnevaleske Assoziationen befeuerten „Erforschung des Schluckaufs“ gipfelt.
An Bunins Novelle Leichter Atem (Legkoe dychanie) beobachtet der Kunstpsychologe Vygotskij, wie der Atem Sujet und Fabel bestimmt. Daran ist die Frage nach der Wirkung auf den Atem in der Rezeption geknüpft. Hier werden Übergänge zur experimentellen Psychologie möglich, welche sich für den empirisch messbaren Atem interessiert. Die Tradition der Rhetorik wiederum fragt in der umgekehrten Richtung: Welche Atemtechniken in der Rede erzielen die höchste Wirkung? In der antiken Naturphilosophie wird das pneuma gleichzeitig zum universellen Konzept menschlicher Lebenskräfte.
In diesem komparatistisch und interdisziplinär verfahrenden Seminar wird der Atem als Motiv und konstruktives Prinzip verfolgt. In Rilkes Sonett Atmen figuriert der Rhythmus das Atmen als eine pendelnde Bewegung und fließende Veränderung von Intensitäten. Kommen darüber hinaus in Godards À bout de souffle ganze Genres außer Atem? Welche Bedeutung hat die Materialität des Atems in der Neuen Musik? Wie wird das Respiratorische in Theatralität und Performance manifest?
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Literaturhinweise
Zur vorbereitenden Lektüre empfohlen:
Gilles Deleuze (1993): Logik des Sinns (Logique du sens) • Emmanuel Lévinas (1998): Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht (Autrement qu'être ou au-delà de l'essence) • Sreenath Nair (2007): Restoration of Breath: Consciousness and Performance • Claudia Röser (2013): „Raumgewinn: Rhythmus und Raum in der Moderne. Rilkes Sonett ‚Atmen‘“. In: Zeitschrift für Kulturphilosophie 7 (1), S. 99–111 • Lew S. Wygotski (1976): Psychologie der Kunst (Psichologija iskusstva)
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14 Termine
Regelmäßige Termine der Lehrveranstaltung
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Di, 09.05.2017 14:00 - 16:00
Di, 16.05.2017 14:00 - 16:00
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Di, 27.06.2017 14:00 - 16:00
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Di, 11.07.2017 14:00 - 16:00
Di, 18.07.2017 14:00 - 16:00