16629 Seminar

SoSe 21: Nibelungenlied

Elke Koch, Meltem Han

Kommentar

Ob „Nationalepos“, „Untergangsepos“ oder „deutsche Ilias“ – als ältester verfügbarer Text der mittelhochdeutschen Heldenepik spaltet das anonyme „Nibelungenlied“ noch heute die knapp zweihundertjährige Forschungslandschaft in Fragen seiner ganzheitlichen Interpretierbarkeit. Den Ausgangspunkt für diese Kontroversen bildet der Umstand, dass der epische Text trotz seiner höfisch-romanliterarischen Überformungen der mündlichen Erzähltradition geradezu widerständig und „blockhaft“ verhaftet bleibt: „[M]“an möchte die Nibelungen in eine ganz andere [Z]eit setzen als den Parzifal und Tristan“, schreibt Jacob Grimm, „und doch sah sie Deutschland beinahe zugleich erscheinen“. Demnach lädt das „Nibelungenlied“ als literarischer Text nicht nur dazu ein, „klassisch“-zeitgenössische romanliterarische Grundbegriffe und Grundcluster des mittelalterlichen Romans um 1200 exemplarisch zu erarbeiten, sondern diese ebenfalls einer textimmanenten Kritik zu unterziehen. Denn mit der Ankunft des „Drachentöters“ Siegfried am Wormser Hof gerät die schillernde höfische Romanwelt augenblicklich ins Wanken: Könige werden dazu veranlasst, abgefeimte Morde zu instruieren; Frauen schwören feindselige Rache, fallen patriarchalen Ordnungen zum Opfer und praktizieren Genozide – kurzum: In einer faszinierenden narrativen Eigendynamik wird die „gute“ höfische Kultur verkehrt und einer radikalen Dekonstruktion ausgesetzt. Entsprechend geht es in diesem Basisseminar neben der Erarbeitung der „klassischen“ Grundbegriffe vor allem um die Rekonstruktion der besonderen Stellung des „Nibelungenliedes“. Sie führt uns von Stoffüberlieferungsfragen über (u.a. genderperspektivierte) Figurenbetrachtungen bis hin zum allmählichen schematischen Verständnis ebendieser eigentümlichen Eigendynamik des Heldenepos. Textgrundlage (zur Anschaffung obligatorisch): Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Hg. von Ursula Schulze. Stuttgart 2011 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18914; ISBN: 978-3150189146). Schließen

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