15320 Seminar

SoSe 21: Wenn Argumente nicht mehr zählen – sozialphilosophische und erkenntnistheoretische Lektüren zum Phänomen des »Postfaktischen«

Dennis Wutzke

Kommentar

Was tun, wenn nicht nur einzelne Argumente fehlschlagen – sondern wenn der gesamte Modus des Argumentierens und des Sich-Berufens auf vermeintlich unbestreitbare „Fakten“ nichts mehr zu zählen scheint? Wie ist es zu deuten, dass autoritäre Agitatoren unserer Tage nicht bloß mit ihren offensichtlichen Unwahrheiten »durchkommen«, sondern geradezu wegen ihres Hohns auf wahrheitsorientiertes Sprechen Erfolg zu haben scheinen? Und ganz aktuell: Offenbart die vielstimmige und zürnende Attacke auf jene Wissenschaftlerinnen, die die Gefahr durch das Sars-Cov-Virus beschreiben, nur die alte Wut gegen den Boten schlechter Nachrichten – oder macht sie zudem eine länger währende gesellschaftliche Entwicklung zum wahrheitsschwachen Relativismus wie im Brennglas sichtbar? Es scheint eine Zeittendenz zu geben, in deren Sog es der „Vernunft“, zumindest der Fähigkeit, sich durch die Erfahrung von Welt« und durch die Argumente anderer selbstzweifelnd zu korrigieren, an den Kragen geht. Manche Autorinnen und Autoren fassen eine solche Tendenz in der Diagnose eines „postfaktischen“ Zeitalters. Gemeint ist nicht, dass es früher nüchtern und interessefrei faktenorientiert zugegangen sei, heute aber leider nicht mehr. Gemeint ist weniger naiv: Die durch Vernunft zu bestimmende Adäquatheit der eigenen Sätze und Orientierungen an die Sachen, auf die sie sich beziehen, verliert als normatives Ideal an Verbindlichkeit. Häufig muss man solche Adäquatheit nicht einmal mehr imitieren. Wichtiger werden die unmittelbar identitären, machtpolitischen, psychologischen und sozialen Effekte der eigenen Sätze. Derlei Diagnosen beziehen sich sehr häufig auf konkrete politische Umbrüche – namentlich auf den autoritären „Populismus“ von Trump bis Höcke. Doch womöglich wird schon in vermeintlich vorpolitischen Phänomenen wie dem stetig wachsenden Bedürfnis nach Esoterik oder in der oft antiautoritär und kritisch sich gebärdenden Degradierung wissenschaftlicher Aussagen zu bloßen Machtgesten oder zur bloßen „Meinung“ unter anderen ein Widerwillen gegen Ratio sichtbar – ein Widerwillen, der im postfaktischen Autoritarismus dann giftig ausgebeutet wird. Wächst dieser Widerwille aus tiefliegenden sozialen Verwerfungen oder eher aus gezielten politischen Kampagnen, nahm er gar seinen Ausgang von postmoderner Sozialphilosophie und ihrer Wissenschaftskritik – oder verweist er womöglich auf Pathologien der „Aufklärung“ selbst? Es sind dies sozialphilosophische Deutungsfragen, die wir im Seminar stellen werden. Ausgehen wollen wir allerdings von einer Basis philosophischen Grundwissens über neuzeitliche Wahrheitstheorien und über klassische Diskussionen zu Irrationalismus und Wissenschaftsskepsis. Das Seminar gliedert sich darum in vier Teile Wir werden zunächst einführend und kursorisch Phänomenbeobachtungen zur »postfaktischen« Agitation im autoritären Populismus, zur Esoterik und zum Wissenschaftsrelativismus in der Corona-Krise sammeln. Im zweiten Teile befassen wir uns mit klassischen Positionen neuzeitlicher Philosophie zu den Problemen von Wahrheit, Faktizität, wissenschaftlicher Objektivität. Im dritten Teil werden wir Ansätze kennenlernen, die versuchen, das Problematisch-Werden von Wahrheitsorientierung, die Spielarten des „Irrationalismus“ aber auch rationale Wissenschafts- und Erkenntnisskepsis auf den Begriff zu bringen. Im letzten, längsten Seminarteil schließlich lesen wir aktuelle zeitdiagnostische Texte zum Phänomen des Postfaktischen« (voraussichtlich von Joseph Vogl, Michael Hampe, Paul Boghossian, Nicola Gess, Stanley Fish, Bernhard Pörksen, Hendricks und Vestergaard). Schließen

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