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Seminar
WiSe 12/13: Probleme der Brief- und Tagebuchedition
Ulrich Joost
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Es ist eine Binsenweisheit, dass aus der Gattungsspezifik auch Konsequenzen für die jeweilige Edition erwachsen. Wir wollen uns daher den daraus für den Editor entstehenden Problemen anhand zweier Textsorten nähern, die, gemeinhin zu den Gebrauchsformen gerechnet, doch im Verlauf Ihrer mittlerweile mehrtausendjährigen Geschichte beträchtliche literarische Leistungen, quantitativ wie qualitativ, gezeitigt haben – nicht zuletzt auch wegen ihrer fortdauernden Vitalität: Brief und Tagebuch.
Ziel dieses Seminars ist es also, an diesen beiden Textsorten exemplarisch möglichst viele Bereiche und Probleme der Edition in den Blick zu nehmen und Lösungen zu finden – von den Vorarbeiten (Bibliographie, Archivkunde, Kultur- und Verkehrsgeschichte, soweit sie den Brief betreffen) über die Textherstellung (Paläographie, Typographie, Chronologie, Kodikologie) bis hin zur Darbietung der Texte, ihrer typographischen Umwandlung, den partikulären textkritischen Entscheidungen – und nicht zu vergessen dem Sachkommentar.
Nach einer kurzen Phase der Rekapitulation editorischer Grundbegriffe werden wir daher zunächst die literaturwissenschaftlichen sowie die textlinguistischen und pragmatischen Voraussetzungen der jeweiligen Gattungen umreißen und uns anhand ausgewählter Beispiele den Besonderheiten ihrer Edition zuwenden. Wenn nicht aus dem Kreis der Teilnehmer besondere Wünsche geäußert werden sollten, auf die ich soweit irgend möglich gern eingehen würde, werden wir uns auf Autoren der frühen Neuzeit konzentrieren und uns die Tagebücher von Sigmund v. Birken, Samuel Pepys (als dem vorläufig einzigen nicht deutschsprachigen Beispiel), Georg Christoph Lichtenberg, Johann Wolfgang von Goethe, Ulrich Bräker, E.T.A. Hoffmann, Theodor Fontane ansehen und praktische Übungen an Lichtenberg veranstalten; bei den Briefen wird der Schwerpunkt noch stärker auf die Goethezeit gelegt werden (praktische Übungen mit J. H. Voß, J. H. Boie, G. C. Lichtenberg, G. A. Bürger), doch holen wir unsere Argumentationsbeispiele nach Bedarf aus der gesamten Weltliteratur.
Eine detaillierte Programmvorbereitung (wer nämlich nachher welche Spezialthemen übernimmt) verabreden wir per Rundmail, sobald ich gegen Anfang Oktober das Programm der einzelnen 16 Sitzungen kommunizieren werde.
Da ich beabsichtige, Sie auch mit praktischen Übungen zu konfrontieren, sollten Sie sich schon hinlänglich in der deutschen Schrift eingeübt haben. Dazu sollten Sie ein paar Stunden investieren und selber ein paar Buchseiten in deutsche Schrift übertragen: abschreiben also – solange müssen Sie das machen, bis Sie es nicht mehr nötig haben, auf der Transkriptionstabelle, die ich Ihnen bereitstellen werde oder Sie sich aus dem Netz herunterladen, nicht einmal mehr die Großbuchstaben nachzusehen.
Es gehört zum Wesen einer Blockveranstaltung, dass die Wissensaneignung schon vorher abgeschlossen sein muss: Wir werden also mit unserem Unternehmen nur soweit Erfolg haben, wie Sie alle möglichst viel und vor allem in die Breite gelesen haben werden. Eine Literaturliste und ein entsprechender Seminarapparat werden rechtzeitig vor Semesterbeginn vorgehalten.
Literatur: a) Allgemein: Bodo Plachtas Büchlein bei Reclam (zu einführender kursorischer Lektüre vor dem Seminar und zur Anschaffung empfohlen). Dann vor allem zur Einübung der Handschrift lässt sich flankierend heranziehen Heribert Sturm: Unsere Schrift. Einführung in die Entwicklung ihrer Stilformen. Neustadt a. d. Aisch: Degener 1961. – Weiterführende Literatur, neben den editorischen Berichten in den großen Brief- und Tagebuchausgaben von Klopstock, Goethe, Schiller, Lichtenberg, Hölderlin bis Kafka usw.: O. Stählin: Editionstechnik 21914 [sehr praktisch; freilich ursprgl. für Klassische Philologen]. – G. Witkowski: Textkritik und Editionstechnik neuerer Schriftwerke 1924. – G. Martens/H. Zeller (Hrsg.): Texte und Varianten 1971 [stark theorielastig. Bemerkenswert die Artikel von Scheibe und Zeller]. – S. Scheibe (Hrsg.): Vom Umgang mit Editionen 1988. – Rüdiger Nutt-Kofoth, Bodo Plachta, H. T. M. van Vliet und Hermann Zwerschina (Hrsgg.): Text und Edition. Berlin 2000. – Harald Haarmann: Universalgeschichte der Schrift. Frankfurt 1990. – Ernst Doblhofer: Zeichen und Wunder. Die Entzifferung verschollener Schriften und Sprachen. Wien u. a. 1957 (Tb.: München: dtv 1964).
Literatur zu Brief und Tagebuch: Natürlich die einschlägigen Artikel im Reallexikon und in der Wikipedia (immer beides gegeneinander lesen. Panta dokimazete …: Prüfet alles und behaltet das Beste!, sagt der Briefschreiber). Zur Einführung in das Thema Tagebuch immer noch vortrefflich Gustav René Hocke: Das europäische Tagebuch. Wiesbaden 1963; Neuausgabe als: Europäische Tagebücher aus vier Jahrhunderten. Motive und Anthologie. Wiesbaden/München 1986; TB Frankfurt am Main 1991. Systematischerer Zugang durch Peter Boerner: Tagebuch. Stuttgart 1969 u. ö. (Metzler Realienbücher: SM 85) und Rüdiger Görner: Das Tagebuch. Zürich 1986. – Für die neuere Zeit Uwe Schultz (Hg.): Das Tagebuch und der moderne Autor. München 1965, dann wieder Berlin 1982. Ein Ordner mit Spezialaufsätzen wird demnächst in der Bibliothek bereitstehen.
Für Briefschreiben und die Pragmatik des Briefs im 18. Jahrhundert ist mein „Lichtenberg – der Briefschreiber“. Göttingen 1993 ganz nützlich; fürs Literarische auch Rainer M. G. Nickisch: Der Brief. Stuttgart (Metzler-Realienbücher). Zahlreiche und vielfältige anschauliche Beispiele bietet Der Brief – Ereignis und Objekt. Katalog zur Ausstellung im Frankfurter Goethe-Museum Hrsg. v. Anne Bohnenkamp u. Waltraud Wiethölter. Frankfurt 2008 (mit 270 Farbabb.!). –
Vor allem aber: Lesen sie in den Ausgaben der genannten Autoren herum!
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Fri, 2012-11-16 10:00 - 18:00 Sat, 2012-11-17 10:00 - 18:00 Sat, 2013-01-12 10:00 - 18:00 Sun, 2013-01-13 10:00 - 18:00