WiSe 22/23: Andere Dramaturgien
Thore Martin Walch
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Der Begriff „Dramaturgie“ ist vieldeutig. Er bezeichnet nicht nur ein Arbeitsfeld und Berufsbild am Theater, sondern dient auch als Überbegriff für den Aufbau eines Dramas, besonders im Hinblick auf die Beziehungen und Handlungen der Figuren. „Wie diese Handlungen geformt sind und in welcher Art und Weise sie aufeinander aufbauen, ist Gegenstand der Dramaturgie.“ (1) Geht man jedoch davon aus, dass auch solche Theateraufführungen, die auf Figuren und/oder Dialoge (im klassischen Sinn) verzichten, aus aufeinander folgenden Handlungen bestehen und somit einen Aufbau und eine Struktur haben, lässt sich der Begriff der Dramaturgie ebenso auf andere Theaterformen anwenden, sodass „[n]owadays, dramaturgy is considered to be an essential part of the creative process across all theatre genres“ (2).
Im Seminar werden wir uns vor allem mit solchen Theaterformen jenseits des dramatischen Theaters beschäftigen. Der Fokus liegt dabei auf dem 20. und 21. Jahrhundert – ein Zeitraum, der sich durch eine Vervielfältigung theatraler Formen auszeichnet. Beispiele sind etwa frühe nicht-dramatische Versuche wie Gertrude Steins landscape plays, das postdramatische Theater der 70er bis 90er Jahre, wie Hans-Thies Lehmann es in seinem gleichnamigen Buch beschreibt, oder zeitgenössische Formen des Performance-Theaters, bspw. von She She Pop oder Henrike Iglesias.
Wir werden dabei die Frage in den Blick nehmen, wodurch sich die jeweilige Dramaturgie auszeichnet und wie sie sich beschreiben lässt. Welche Ähnlichkeiten und welche Unterschiede weist sie mit herkömmlichen dramatischen Formen, wie bspw. der Fünf-Akte-Struktur, auf? Wo reagiert sie auf bestimmte Anforderungen der theatralen Form? Was zeichnet eine gelungene Dramaturgie im jeweiligen Feld aus? Dafür werden wir uns den Theaterformen auf unterschiedliche Arten nähern – durch Texte von Theatermacher*innen selbst und durch theaterwissenschaftliche Texte, die über die Theaterformen reflektieren, sowie durch Aufzeichnungen und Theaterbesuche. Außerdem werden wir danach fragen, wie eine dezidiert theaterwissenschaftliche Beschäftigung mit Dramaturgie aussehen kann und welchen Wert sie haben kann.
(1) Bernd Stegemann, „Einleitung“, in ders. (Hg.), Lektionen 1. Dramaturgie, Berlin: Theater der Zeit, 2009, S. 9–41, hier S. 10–11.
(2) Cock Dielemann et al. Dramaturgy. An Introduction. Amsterdam: Amsterdam Univ. Press, 2021, S. 29.
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