WiSe 22/23: Die römische Satire
Melanie Möller
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Von Beginn an präsentieren sich die Verfasser von Satiren – nach Einschätzung des Rhetoriklehrers Quintilian ein genuin römisches Genre – als scharfzüngige Kritiker der Gesellschaft. Dabei werden häufig Menschentypen beleidigt, die keine Rückschlüsse auf konkrete Personen erlauben; doch gibt es durchaus auch Angriffe auf zeitgenössische historische Persönlichkeiten, die weit unter die Gürtellinie zielen. Dabei sind Satiriker erkennbar darum bemüht, realistische Effekte zu erzielen, das künstlerische Gepräge also zu verschleiern. Da wir es – in den Worten Michail Bachtins – mit einer „hybriden“, gar „monströsen“ Gattung zu tun haben, die auf Stilmischung angelegt ist, fällt ihre Einschätzung erst recht schwer. Insofern sich Satiren häufig dialogischer, perspektivisch verfremdender Sprecherwechsel und Rollenspiele bedienen, verringern sie auch die Gefahr der Autoridentifikation. Lucilius gilt nach Ennius als der eigentliche Begründer der Satire in Rom (2. Jh. v. Chr.). In den Fragmenten seiner 30 Bücher umfassenden Sammlung finden wir auch gegen historisch greifbare Personen aus seinem Umfeld gerichtete Polemik. Horaz, Persius oder Juvenal hingegen attackieren in der Regel keine Zeitgenossen namentlich. Einen besonders interessanten Fall stellt die „Menippeische Satire“ dar, eine Kombination aus poetischen und prosaischen Textteilen, in welcher der Obszönität keine Grenzen gesetzt sind: Während sich Petron in seinen Satyricon libri allerdings mit fiktionalen Charakteren begnügt, die zu Identifikationen mit Lebenden (Nero!) nur verführen, vergreift sich der jüngere Seneca in seiner „Verkürbissung“ des Claudius immerhin am Darm, konkret an den Verdauungsproblemen des (allerdings frisch verstorbenen) Kaisers (54 n. Chr.). Allen römischen Satirikern gelingt die Gratwanderung zwischen dem Exquisiten und dem Trivialen, zwischen ungezügelter Phantastik und derb scheinendem Realismus. Sie machen sich die Waffen der Kritik zunutze, ohne selbst aus ihren „Waffenkammern“ herauszukommen; dass der dirty talk, den sie in ihren Werken bieten, auch auf sie selbst als seine Repräsentanten zurückschlagen kann, ist eine einkalkulierte Konsequenz. Sie gehört zum generischen Code der Satire; gerade in ihrer grotesken Ausformung fungiert die Satire als eine Art Regulationsprinzip zwischen der kulturellen und der politischen Sphäre. Diesem Code bzw. diesem Prinzip will die Vorlesung in einem konzentrierten Überblick über die zentralen Werke der römischen Satire, ihre griechischen Vorläufer und ihre Rezeption nachgehen.
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J. Henderson, Writing down Rome. Satire, Comedy, and Other Offences in Latin Poetry, Oxford 1999; W. Lange, Über Literatur und Zynismus. Houellebecqs ‚Elementarteilchen’ und die antike Satire, in: G. Theile (Hrsg.), Das Schöne und das Triviale, München 2003, S. 173–209 close
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