16420 Hauptseminar

SoSe 15: "Die rhythmische Trommel" der Avantgarde: Bilder, Worte, Körper in Bewegung

Elena Vogman/Georg Witte

Kommentar

Der Rhythmus wird in den Künsten der Avantgarde um 1920 zu einer Macht, die sowohl mechanische als auch organische Körper organisiert. Er vereint unterschiedliche Diskurse und ästhetische Praktiken in einem Interessenfeld: der Bewegung. Der Rhythmus als Phänomen der Bewegung hat aber stets zwei Seiten. Er bringt sowohl die Kontinuität als auch den Bruch, sowohl die Kontrolle als auch ihren Verlust, er hat sowohl berauschende und suggestive als auch eine reflexive Komponente. In Poesie und Poetik überwindet der "rhythmische Impuls" (Osip Brik, Andrej Belyj) metrische Statik, klangrhythmische und körpermotorische Impulse verbinden sich im Gedicht zum "Bewegungsbild" (Sergej Bernštejn). In den bildenden Künsten und der Architektur strukturiert der Rhythmus den Raum (Projektionismus, Gruppe "Methode"). Im Theater der Biomechanik wird Rhythmus zum Parameter, der die Bühnenbewegung an Arbeitsbewegungen angleicht (Vsevolod Mejerchol'd, Aleksej Gastev). Das Kino führt einen Bilder- und Montagerhythmus ein, der ein lineares Verständnis der Zeit zerstört und die Erfahrung unterschiedlicher Zeiten in einer bewegten Bildsequenz vor Augen führt. Sergej Ejzenštejn sieht darin einen archaischen Effekt, den er als "rhythmische Trommel" der Kinobilder bezeichnet, "bei der es zu einer Verbindung ‚von allem mit allem' kommt - etwas, was für den Urzustand des Denkens charakteristisch ist." Das Seminar soll rekonstruieren, wie der Rhythmus schöpferische Verbindungen zwischen diversen künstlerischen und medialen Praktiken stiftet: Wie trifft der Körperrhythmus mit Maschinenrhythmus zusammen? Wie werden durch Körpertechniken sowohl Lern- wie auch Rauscheffekte induziert? Was passiert, wenn zwei Rhythmen aufeinander treffen? Welche evolutionären Funktionen und welche archaischen Momente können dem Rhythmus zugeschrieben werden? Neben einer parallel zum Seminarprogramm angebotenen Filmsichtung werden ausgewählte theoretische und künstlerische Positionen mit Blick auf das poetische und politische Potential des Rhythmus diskutiert.

Vorbereitende Lektüre: Kapitel "Zum Ritornell", in: Gilles Deleuze, Felix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin (2. Aufl.) 1997.

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