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SoSe 15: Expressionismus

Simon Zeisberg

Kommentar

Wie mutmaßlich alle Epochenbegriffe, die unser Sprechen über vergangene Konstellationen der Literatur-, Kunst- und Kulturgeschichte kennzeichnen, fungiert auch der Begriff des Expressionismus als ein Container, der je nach historischer Perspektive ganz unterschiedlich befüllt werden kann. Von einer sehr unscharfen Verwendung des Begriffes zur Bezeichnung eines ganzen Jahrzehntes moderner Literatur- und Kunstproduktion (1910 bis 1920) über den Versuch, bestimmte Themen, Texte und Künstler/Autoren als ‚expressionistisch' zu bestimmen, bis hin zu einer um Differenzierung bemühten Geschichte der künstlerischen Avantgarde(n) des frühen 20. Jahrhunderts erstreckt sich eine Vielzahl möglicher Begriffsverwendungen. Einen für unsere Seminarperspektive bemerkenswerten Befund liefert dabei die zeitgenössische Debatte um Stellenwert und Reichweite des Begriffes: Trotz der Bekenntnisse einzelner Autoren und Künstler zum Expressionismus (K. Hiller: "Wir sind Expressionisten."; Y. Goll: "Expressionismus liegt in der Luft unserer Zeit [...].") bleiben viele Akteure der Avantgarde dem Begriff gegenüber skeptisch, droht unter dem generalisierenden Label doch ausgerechnet jenes "individualistisch-anarchistische Selbstverständnis" (Anz/Stark, 1982) in Frage gestellt, dessen Produkt die postulierte Expressivität des Kunstwerks sein soll. So kommt es in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg zu einer Situation, die für die Geschichte der Avantgarde im 20. Jahrhundert in einiger Hinsicht paradigmatisch ist: An die Stelle einer über das einzelne Werk hinaus verbindlichen ästhetischen, politischen oder sozialen Programmatik tritt eine - durch Programme und Manifeste stetig befeuerte - Dynamik der Provokation und radikalen Innovation, deren verlässlichstes Kennzeichen in der Aufhebung formaler und inhaltlicher Verlässlichkeit des Kunstwerkes zu bestehen scheint. - Ziel des Seminars ist es, diese Dynamik in ihren verschiedenen formalen und inhaltlichen Ausprägungen nachzuvollziehen. Angestrebt wird dabei eine breite Behandlung des Gegenstandsbereiches, d.h. neben der Literatur der 1910er Jahre, die den Schwerpunkt des Seminars ausmachen wird, werden auch andere Medien ‚expressionistischer' Kunst (Malerei, Film, Theater, Architektur etc.) in Betracht gezogen. Thematisiert werden außerdem die sozialen, politischen und weltanschaulichen Bedingungen, unter denen sich die ‚expressionistische' Moderne in Städten wie Berlin, Dresden und München ausbildet (dazu gehören Wilhelminismus, Erster Weltkrieg, Industrialisierung, Beschleunigung des technologischen und wissenschaftlichen Fortschritts, neu entstehende Muster großstädtischer Erfahrungskomplexität, Folgen und Möglichkeiten massenmedialer Kommunikation, lebensphilosophische Strömungen der Moderne, Entstehung der modernen Soziologie u.a.). Zur einführenden und begleitenden Lektüre: Thomas Anz: Literatur des Expressionismus. 2., aktual. und erw. Aufl. Stuttgart 2010. Thomas Anz / Michael Stark: Expressionismus. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1910-1920. Stuttgart 1982. Ralf Georg Bogner: Einführung in die Literatur des Expressionismus. Darmstadt 2005. Frank Krause: Literarischer Expressionismus. Paderborn 2008. Silvio Vietta / Hans-Georg Kemper: Expressionismus. München 61997. Schließen

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Fr, 17.04.2015 14:00 - 16:00

Dozenten:
Simon Zeisberg