16445 Hauptseminar

SoSe 21: Niemand-Figurationen

Kathrin Wittler

Kommentar

Im neunten Gesang der „Odyssee“ geraten Odysseus und seine Gefährten in die Höhle des einäugigen Riesen Polyphem. Auf die Frage Polyphems, wie er heiße, antwortet der listenreiche Odysseus: „Niemand“ (griech. „Outis“). Nachdem Odysseus und seine Gefährten Polyphem betrunken gemacht haben, stoßen sie dem schlafenden Riesen einen glühenden Pfahl ins Auge. Als Polyphem vor Schmerzen aufschreit und die anderen Zyklopen, die auf der Insel leben, zu Hilfe ruft, erkundigen diese sich, was geschehen sei. Polyphem antwortet ihnen, Niemand habe ihn geblendet, Niemand versuche, ihn zu töten. Die Zyklopen eilen daraufhin nicht zu Hilfe, da sie ‚niemand‘ in diesem pragmatischen Zusammenhang nicht als Eigennamen, sondern als Indefinitpronomen verstehen. Odysseus und seine Gefährten können dem erblindeten Polyphem am nächsten Tag entkommen. Das Indefinitpronomen ‚niemand‘ (Verneinung von ‚jemand‘) hat, als Eigenname ‚Niemand‘ verwendet, in der Literatur von Homer bis in die Gegenwart komplexe Sprachspiele ermöglicht. Wir werden im Seminar anhand einiger Beispiele untersuchen, welche Effekte das grammatische Niemand-Spiel literarisch zeitigt und welche Deutungsmöglichkeiten es eröffnet. Wir werden uns unter anderen die folgenden Texte genauer ansehen: Johann Georg Hamanns „Sokratische Denkwürdigkeiten“ (1759), Annette von Droste-Hülshoffs Kriminalgeschichte „Die Judenbuche“ (1842), Karl M. Baers unter dem Pseudonym „N. O. Body“ veröffentlichte Autobiographie „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ (1907), Franz Kafkas Gracchus-Fragment und sein Kurzprosatext „Ausflug ins Gebirge“ (1913), E.E. Cummings’ Ballade „anyone lived in a pretty how town“ (1940), Arno Schmidts Erzählung „Schwarze Spiegel“ (1951), Paul Celans Gedicht „Psalm“ aus dem Band „Niemandsrose“ (1963), Barbara Köhlers Gesänge „Niemands Frau“ (2007), Emine Sevgi Özdamars Europa-Drama „Perikizi“ (2010) und Alice Oswalds Gesänge „Nobody“ (2019). Schließen

Literaturhinweise

Daniel Heller-Roazen: No One’s Ways. An Essay on Infinite Naming. New York, NY 2017; Hannes Fricke: „Niemand wird lesen, was ich hier schreibe“. Über den Niemand in der Literatur. Göttingen 1998; Michael Braun: Untersuchungen zu „Niemand“. Beitrag zur Geschichte einer paradoxen literarischen Figur und ihrer Darstellung im Bild. Stuttgart 1994 Schließen

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