13560 Wahlpflichtvorlesung

SoSe 21: Künste und Geschichten der chinesischen Kalligrafie: Plurale Perspektiven

Shao-Lan Hertel

Hinweise für Studierende

Die Vorlesung findet in deutscher und englischer Sprache statt. Sprach- und Schriftkenntnisse des Chinesischen sind von Vorteil, für die Teilnahme an der Vorlesung jedoch nicht obligatorisch. Der Verlaufsplan und die erweiterte Literaturliste werden zu Semesterbeginn bereitgestellt. Ausgewählte Lektüren bilden Arbeitsgrundlage und Diskussionsschwerpunkt des thematisch vertiefenden Seminars „Lesen zwischen Zeilen und Linien: Kunstgeschichtsschreibungen der chinesischen Kalligrafie“ bzw. des Projektseminars „‚Schriftkultur und Schreibkunst in Ostasien: Magie, Mythos und Metasprache der Moderne‘, Projektseminar in Kooperation mit dem Museum für Asiatische Kunst zur Vorbereitung einer Themenausstellung im Humboldt Forum“ im Master-Modul Forschung am Objekt (Ostasien). Schließen

Kommentar

Die Vorlesung versteht sich als vertiefte Einführung in die kunsthistorische Gattung und das kunstdiskursive Feld der chinesischen Kalligrafie (Zhongguo shufa). Das hierunter begriffene kulturspezifische Phänomen, welches sich in China auf eine über dreitausendjährig tradierte Schriftkultur beruft und durch distinktive materielle, technische und a¨sthetische Regelwerke historische Ausprägung sowie kontinuierliche Transformation erfahren hat, ist in seiner geläufigen Übersetzung als „Schönschrift“ (abgeleitet vom gr. kallo´s [Schönheit]; gra´phein [schreiben]) tatsächlich nur defizitär, zudem irreführend erfasst. Shufa – wörtl. die „Methoden des Schreibens“ – bezeichnet zunächst die verschiedenen Typen und Stile der Schriftführung mit Pinsel und Tusche, wie sie vornehmlich im kaiserlichen China durch die Praxis der Beamtengelehrten und Literaten (wenren) herausgebildet worden sind. Über ihre inhärenten Verschränkungen mit weiteren klassischen Gattungen der chinesischen Dichtung und Malerei hinaus erfüllen die künstlerischen Ausdrucksformen der Schrift und kulturtechnischen Praktiken des Schreibens in China seit jeher tiefgreifende komplexe Funktionen welche fundamental mit der identitätsstiftenden Konstruktion und Verhandlung ideologisch-normativer Werte- und Wissenssysteme verschränkt sind. Die im Vorlesungstitel gewählte Bezeichnung pluraler Perspektiven gründet sich demnach in dem Anliegen, die mannigfaltigen Wirkungsbereiche dieser Verflechtungen: von Schrifttext, Textschrift, Schriftbild, Bildschrift etc. – u.a. von somästhetischer, charakterologischer, soziokultureller, religiöser, machtpolitischer Tragweite – in ihrer Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit im chinesischen Kontext auszumeißeln und Epochen und Geografien übergreifend zu beleuchten.

Die kunst- und kulturhistorische Diversität und insbesondere Disjunktivität, die dabei durch unterschiedliche Formen der Geschichtsschreibung (etwa in Form von kunsttheoretischen Traktaten und kunstkritischen Texten; Inschriften, Kolophonen und Siegeln auf Kunstwerken; wissenschaftlichen Publikationen; zeitgenössischen Ausstellungsnarrativen) Verkörperung gefunden haben und weiterhin finden, provozieren dann ebenso eine Pluralität methodologischer Perspektiven. Anstelle einer stringent-linearen chronologischen Herangehensweise bzw. der in sich erschöpfenden, teleologischen Erzählung einer (vermeintlich unikalen, uniformen) „Kunstgeschichte der chinesischen Kalligrafie“ geht es in der nach Themen pointiert-exemplarisch aufgezogenen Vorlesung insbesondere um das Identifizieren von Dissonanzen, Friktionen und Brüchen und damit verbundenen Prozessen des Transformativen im Diskurs – welche zusammen betrachtet erst unser kunst- und kulturhistorisches Verständnis des unter dem Begriff der „chinesischen Kalligrafie“ gefassten Gesamtphänomens in all seiner Komplexität und Wandelbarkeit konstituieren können: als andauernde dynamische Prozesse der Transmission und Verhandlung von „Kunst“ und „Geschichte“ selbst; deren Einschreibungen und Neuerfindungen vielmehr von einer Mehrzahl der Künste und Geschichten einer (de-essenzialisierten) „chinesischen Kalligrafie“ erzählen.

Aufbauend auf ihrer Heranführung sowohl an die grundlegenden Techniken und Materialien, Schrifttypen und Schriftstile sowie ästhetischen Begriffe der Gattung als auch das Vokabular und Instrumentarium der gattungsspezifischen Werkbeschreibung und -analyse sieht die Vorlesung eine Behandlung folgender Themenkomplexe vor: Genealogien von „Meistern“ und „Meisterwerken“; Ritus, Leib und Gefäß (qi); Kalligrafieren als mnemonische und meliorative Selbstpraxis; modulare Systeme und kosmologischer Analogismus; Phänomene der technischen Reproduktion/historischen Transmission/künstlerischen Transformation als gesamthistorisches Kontinuum; Epigrafik und Antiquarianismus; kulturelle Nostalgie und Neuerfindung durch Vergangenheit; kanonische Umbrüche; Modernisierung, Internationalisierung, Transkulturierung; Semiotik, Intermedialität, Übersetzung; Sammeln und Zeigen, Narrationen und (Re)Konstruktionen im Ausstellungsraum; Zentren und Peripherien, Minoritätsdiskurse, Identitätsdiskurse; globale Kunstgeschichtsschreibung. Fallbeispielartig werden repräsentative Kunstwerke und Artefakte sowie künstlerische VertreterInnen und weitere AkteurInnen des kalligrafischen Diskurses verschiedener Zeiten und Räume vorgestellt und im historischen Kontext ihrer jeweiligen Rahmenthemen diskutiert; darunter sowohl namhaft etablierte als auch weniger oder bislang nicht bekannte. Schließen

Literaturhinweise

Gordon S. Barrass, The Art of Calligraphy in Modern China (British Museum Press 2002); Gu¨nther Debon, Grundbegriffe der chinesischen Schrifttheorie und ihre Verbindung zu Dichtung und Malerei (Steiner 1978); Wen C. Fong/Robert E. Harrist, Jr., The Embodied Image: Chinese Calligraphy from the John B. Elliot Collection at Princeton (The Art Museum, Princeton University, 1999); Wen C. Fong/Zhongshi Ouyang, Chinese Calligraphy (Yale University Press 2008); Roger Goepper, Shu-p’u: Der Traktat zur Schriftkunst des Sun Kuo-t’ing (Steiner 1974); Maxwell K. Hearn, Ink Art: Past as Present in Contemporary China (Yale University Press 2013); Shao-Lan Hertel, “Deterritorializing Chinese Calligraphy: Wang Dongling and Martin Wehmer’s ‘Visual Dialogue’ (2010),” The Journal of Transcultural Studies 11, no. 2 (2020): 113–149; Shao-Lan Hertel, “Creating Academic-Museal Dialogue In-Between Ivory Towers and Unwritten Pages: Tsinghua University Art Museum and Its Collection of Chinese Contemporary Calligraphy,” Cahiers d'Histoire 37, no. 2 (Winter 2020): 93–137; Birgit Hopfener, “Tradition and Transmission: Shifting Epistemologies and (Art-)Historical Grounds of Contemporary Art’s Relationship to the Past,” Journal of Contemporary Chinese Art 6, no. 2/3 (2019): 187–206; Kim Karlsson/Alexandra von Przychowski, ed., Magie der Zeichen: 3000 Jahre chinesische Schriftkunst (Scheidegger & Spiess 2015); Lothar Ledderose, “Chinese Calligraphy: Its Aesthetic Dimension and Social Function,” Orientations 17, no. 10 (1986): 35–50; Mathias Obert, „Leibliche Mimesis und Selbstsorge in den chinesischen Ku¨nsten des Pinsels“, in Fabian Heubel/Marcus Schmücker, ed., Dimensionen der Selbstkultivierung: Beiträge des Forums für Asiatische Philosophie (Alber 2013): 396–426; Tsuen-hsuin Tsien, Written on Bamboo and Silk: The Beginnings of Chinese Books & Inscriptions. With an Afterword by Edward L. Shaughnessy. 2nd ed. (University of Chicago Press 2004 [1962]); Yueh-ping Yen, Calligraphy and Power in Contemporary Chinese Society (Routledge Curzon 2005). Schließen

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